Statt klassischem Interview lassen wir die Protagonisten bei unserem Wortwechsel selbst die Fragen stellen. Anlässlich des 20-jährigen re.flect-Jubiläums haben wir alle ehemaligen Chefredakteure im Holzapfel versammelt, um in Erinnerungen zu schwelgen und den Errungenschaften der modernen Technik zu huldigen.
Martin: Habt ihr euch eigentlich räumlich getrennt? Also re.flect und Urban Propaganda?
Nina: Urban ist nach wie vor in der Gymnasiumstraße und wir sind mit dem re.flect jetzt in die Johannesstraße gezogen, unter anderem mit den Jungs von Applaus Gin, Fabian vom Cafe Parmesan, Karin und Rosa von der Fest Versprochen, der Agentur WSK und tätowiert wird mit Ina und Benni auch noch.
Michi: und Dexi spielt im Garten!
Martin: Ah, der hat da auch sein Studio mit drin, stimmt. Den hab ich auch am Samstag im StadtPalais mit seiner gelben Regenjacke gesehen. Da habe ich übrigens auch den Willi getroffen, das war der erste re.flect-Grafiker. Früher war das immer so, dass wir die letzte Nacht vor der Abgabe durchgearbeitet haben und ich dann morgens mit der CD zur Druckerei gefahren bin. Dort habe ich dann erstmal von Ralf einen Einlauf bekommen, der ist heute Türsteher beim Schocken. Der war nämlich damals der, der die Daten verarbeitet hat. Und wir hatten natürlich alles immer irgendwie falsch angelegt mit 100 Unter-Ordnern und Bildbenennungen wie „kiffender Harris”. Und er so: Woher soll ich wissen, wer der kiffende Harris ist? Weil das nachts immer so lange ging, hatte ich so eine alte Gartenliege von meinen Eltern im Büro und der Willi, der immer am längsten gemacht hat, hat sich immer auf die Liege gelegt, wenn ich hochgefahren bin zur Druckerei „Weinbrenner”. Die gibts aber auch nicht mehr.
Michi: Ja, den Niedergang der Druckbranche haben wir auch am eigenen Leibe mitbekommen.
Martin: So ein Heft hatte damals 1,4 GB. Das hat man mit Skype und was es dann noch alles irgendwann gab, gar nicht durchbekommen.
Nina: Und heute läuft alles so easy per Dropbox und Co.
Martin: Auf was für alten Rechnern wir das auch alles noch gemacht haben …
Michi: Da hat man die Anzeigen dann noch auf Filmen zu uns gebracht. Richtig oldschool.
Nina: Das klingt irgendwie nach weit mehr als 20 Jahren.
Sarah: Da war das Pferd noch das modernste Fortbewegungsmittel.
Martin: Ich war auch jedes Mal voll erschöpft nach der Abgabe.
Nina: Manches ändert sich nie. Man arbeitet halt bis eine Sekunde vor Druckdaten-Abgabe
Sarah: Und man findet ja immer noch irgendwas, was verbessert werden kann oder fehlt. „Das da könnte man noch umstellen” oder „Sollen wir das doch noch mit reinnehmen?”
Nina: Ja, so lange, bis man denkt: Das können wir jetzt nicht mehr machen, sonst wird‘s nicht mehr gedruckt.
Martin: Die Woche vor Abgabe war ich eigentlich gar nicht daheim und in der Woche danach ist man echt in ein emotionales Loch gefallen. Danach erst mal wieder putzen und duschen und so.
Nina: Eine Woche ohne soziale Kontakte, man geht eigentlich nur heim zum Schlafen.
Michi: Krass ist auch, dass wir damals noch im Büro geraucht haben. Danach war erstmal Aschenbecherleeren angesagt … Wie auch die Rechner aussahen!
Nina: Und wenn man jetzt in ein Büro kommt, wo geraucht wird, denkt man eher: Boah, was ist mit denen los!
Michi: Ja gut, aber damals hat man auch in Restaurants geraucht und am Flughafen. Achja, Gastro! Ich hab auch das Gefühl, die Leute die früher in der Gastro unterwegs waren, sind heute immer noch da. Da hat sich, außer dass man oft nicht mehr rauchen darf, nicht viel geändert.
Nina: Naja, es ist eben nicht mehr so konzentriert und geballt auf wenige Akteure …
Sarah: Es gibt ja auch viele neue DJ-Kollektive und kleinere Vereine.
Martin: Und viele neue Cafés gibt‘s auch, das ist heute eher so ein bisschen der Zeitgeist.
Michi: Ja, Clubs wurden halt ein bisschen verdrängt durch andere Freizeitbeschäftigungen.
Martin: Vapen, Kaffee trinken und Essen gehen …
Michi: … Shisha-Bars und Netflix!
Nina: Clubs gibt‘s gefühlt schon weniger, Bars aber dafür eine Menge. Ich glaube die meisten Leute gehen einfach nicht mehr so viel in Clubs.
Michi: Viele Dinge, die man früher in Clubs gesucht hat, wie zum Beispiel einen Partner für eine Nacht, kannst du jetzt halt auch über Tinder finden. Musik von bestimmten DJs kann man heute über den Boiler Room oder Spotify hören. Ich glaube einfach, dass die sozialen Funktionen von Clubs nicht mehr so gefragt sind.
Martin: Es wird ja auch immer schwieriger für die Leute mit ihren Infos und Veranstaltungen durchzukommen. Es gibt ja eher wenige Medien, die sowas veröffentlichen. In Stuttgart ist die Szene ja schon eher klein, muss man ganz ehrlich sagen.
Michi: Ich kann das gar nicht einschätzen, Stuttgart ist ja einwohnermäßig auch nicht so groß.
Martin: Es gibt halt zwei Zeitungen. Und dann gibt’s noch euch, LIFT, Geheimtipp und dann noch uns, also Kessel.tv … Das ist einfach nicht viel.
Michi: Und dann gibts noch Influencer und Food Blogs.
Martin: Ja, aber die wollen dann halt auch immer gleich Geld.
Michi: Ja, klar, es ist medientechnisch schon ausgedünnt hier.
Nina: War das früher dann noch anders?
Michi: Früher gabs noch Subculture, Partysan, Up to Date, Prinz … Einige kleine Magazine gab‘s schon noch.
Martin: Mittlerweile ist halt auch jeder sein eigenes Medium. Jeder kann alles senden, was er will und hat die technischen Möglichkeiten, Leute zu erreichen.
Nina: Es hat sich seit wir angefangen haben jedenfalls ganz schön viel verändert, aber so bleibt es ja auch spannend. Schauen wir mal, wie es weitergeht – ihr wisst ja, „man darf gespannt sein“.
Vielen Dank an unseren Fotografen Jakob Marwein!