Erst waren es die Cocktailbars, die irgendwann mehr Wert auf vollbärtiges Personal und gestärkte Hemden als auf originelle Kreationen legten, dann die inflationär aus dem Boden ploppenden Burger-Shacks mit ihrem überwiegend deckungsgleichen Konzept, später die Ramen-Shops. Natürlich verträgt eine Stadt Konkurrenz, natürlich ist ein Food-Trend nicht umsonst ein Trend und erfordert mehr als einen Laden, um die plötzlich entfesselte Nachfrage zu stillen. Ich frage mich nur, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. In Stuttgart wird ein kulinarisches Phänomen dann nämlich gern mal so weit ausgereizt, ausgebeutet und ausgeschlachtet, bis man nach der x-ten generischen Neueröffnung zum selben Thema schnell die Schnauze voll hat vom vormals heißen Scheiß. Nachhaltig ist das nicht, viele Läden müssen voreilig dichtmachen, weil sie sich einfach zu sehr auf ein bestehendes Konzept verlassen haben.
Ich verstehe schon, dass es reizvoll ist, einen Pionier die Arbeit machen zu lassen und dann einfach ein minimal gepimptes Konzept mit einem noch cooleren Namen an den Start zu bringen. Ist ja auch nicht jeder der geborene Entrepreneur mit Visionen, Courage und Budget. Was mir da aber fehlt, sind der Einfallsreichtum, die Kühnheit und die Neugier auf Neues. Für mich sind das drei Grundpfeiler jeder Art von Gastronomie. Auf die Schnauze fallen ist dabei natürlich ein Stück weit wahrscheinlicher als mit einem veganen, glutenfreien Törtchenladen; dafür bereichert man die Stadt um etwas komplett Neues, Eigenes. Und es ist nun wirklich kein Geheimnis, dass Stuttgart durchaus noch Luft für gastronomische Innovationen hat.
Was ist mit guter südamerikanischer Küche? Mit der US-Küche aus den Südstaaten oder aus Kalifornien? Mit spezifischer Länderküche aus bestimmten italienischen Regionen? Himmel, es gibt ja sogar kaum spanische oder portugiesische Restaurants. Selbst einen uralten Streetfood-Klassiker wie gute Tacos muss man lange suchen. Dass es anders geht, zeigt Bernd Kreis in seiner Wein-/Jazzbar High Fidelity. Dort serviert er authentisch peruanische Sandwiches, die Sánguches. Und, Überraschung: Die Stuttgarter lieben sie! Ich mag einen guten Burger ebenso wie Ramen, ich finde auch unsere Weinstubenkultur umwerfend schön und bin überzeugt, dass wir viele erstklassige Restaurants und Köch:innen haben. Ich wünschte mir nur, wir würden uns nicht immer mit abgeschauten Konzepten zufriedengeben. Von der Gastroszene in der sechstgrößten Stadt Deutschlands erwarte ich entschieden mehr. Und wenn schon nicht während der letzten beiden Corona-Jahren, dann bitteschön ab diesem Sommer. Kann ja nicht angehen, dass es große Innovationen praktisch nur bei Bosch oder Daimler gibt.

Text © Björn Springorum
Schreibt, trinkt und isst in Stuttgart.
Illustration © Anna Ruza (Grafikerin & Illustratorin)
Nach dem Diplom in Kunsttherapie und einigen Jahren als Therapeutin genießt sie aktuell das Leben mit Mann und Mäusen vom schönen Stuttgarter Westen aus.