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Wortwechsel:
Kunst im öffentlichen Raum

Wortwechsel: Kunst im öffentlichen Raum

Seit letztem Jahr hat es sich die Stadt Stuttgart verstärkt zur Aufgabe gemacht, den öffentlichen Raum im Kessel mit Kunst zu beleben und ein neues Förderprogramm ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Tosin Stifel von der Stadt Stuttgart, Laura Bernhardt vom „Current“-Festival, Künstlerin Sylvia Winkler und Graffiti-Artist Chris Ganter aka JEROO haben wir über die Bedeutung von Kunst in Stuttgart, kommende Entwicklungen und was sich Kunstschaffende wünschen gesprochen. Passend zum Thema fiel die Wahl unserer Location auf das „Gate of Hope“ am Löwentor – eine architektonische Skulptur des Konzeptkünstlers Dan Graham.

Tosin: Wollen wir uns kurz vorstellen? Ich bin Tosin Stiefel und leite den neuen Fachbereich Kunst im öffentlichen Raum, den es nun seit knapp einem Jahr innerhalb des Kulturamts gibt. Ich war davor auch schon im Bereich Kultur im öffentlichen Raum bei der Stadtentwicklung im Kulturamt tätig und bin total happy, dass es jetzt den Fachbereich und vor allem auch die Gelder nur für dieses Thema gibt.

Laura: Ich bin Laura und arbeite als künstlerische Leiterin vom „Current“-Festival hier in Stuttgart. Seit letztem Jahr sind wir Teil des Programms Kunst im öffentlichen Raum. Uns beschäftigen Dinge wie zum Beispiel die Art, wie Kunst in Prozesse zur Stadtentwicklung eingreifen kann. Wir sehen uns aber auch als Impulsgeber, um in eine Richtung zu denken und Sachen auszuprobieren. Wir diskutieren, was Kunst im öffentlichen bzw. urbanen Raum ist und welche Bedingungen erforderlich sind.

Sylvia: Ich heiße Sylvia Winkler, bin Künstlerin und arbeite viel im öffentlichen Raum mit meinem Partner Stephan Köperl zusammen. Wir sind viele Jahre sehr häufig gereist und haben sehr viele Kunstaktionen in fremden Ländern gemacht. Und wenn man auf Reisen ist, dann ist der öffentliche Raum ja das, was sich einem zunächst erschließt, um eine Stadt oder einen Ort wirklich kennenzulernen. Man braucht nicht unbedingt einen Ausstellungsraum. Uns war schon immer wichtig, die Arbeiten für einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Situation spezifisch zu entwickeln. Unsere Arbeit basiert immer auf Recherche.

JEROO: Mein Name ist JEROO und ich bin eher für die Malerei und die Fassadengestaltung zuständig – und das mittlerweile schon recht lange. Mittlerweile sind es schon 30 Jahre, die ich im urbanen Umfeld von Stuttgart unterwegs bin. Außerdem habe ich ein Graffiti-Lehrbuch geschrieben.

Tosin: Ich muss sagen, ich bin total froh, dass wir jetzt in der Runde zusammen sind und dass es überhaupt die Möglichkeit zum Wortwechsel gibt. Das Thema Kunst im öffentlichen Raum hat mit der ersten „Current“-Ausgabe in Stuttgart viel an Bedeutung zugenommen und jetzt mit dem Beschluss des neuen Programms wird das alles auch nochmal auf ein anderes Level gehoben. Wir haben gemeinsam überlegt: Was braucht es hier in Stuttgart, um noch mehr Kunst in den öffentlichen Raum zu bekommen und welche Bedingungen sind notwendig, damit Künstler:innen ihre Ideen so einfach wie möglich durchsetzen können? Das war ein sehr, sehr guter Aufschlag. Wir haben jetzt verschiedene Bereiche entwickelt und abgesteckt, die wir in den nächsten Jahren umsetzen wollen und ich bin einfach total gespannt, wie sich das weiterentwickelt. Was sind so eure Richtungen fürs nächste Jahr?

JEROO: Es ist jetzt schon ein großer Step gemacht worden mit dem Programm und dem Festival, das ist auf jeden Fall schon mal gut. Ich muss sagen, ich bin eigentlich relativ zufrieden.

Laura: Wir werden vom 14. bis 24. September die zweite Ausgabe vom „Current“ machen und uns dabei auf Cannstatt konzentrieren. Wir haben uns den Stadtbezirk herausgesucht, da hier viel im Umbruch ist und passiert und werden dort an verschiedenen Orten Aktionen, Installationen, Performances und Dialogformate durchführen. Aber wir gehen da stark in den Diskurs darüber, was Kunst im öffentlichen Raum heutzutage macht, wie wir in die Zukunft schauen können und eben auch diese Verzahnung zur Stadtentwicklung.

Tosin: Ich glaube, das ist ein total guter und wichtiger Schritt, dass ihr mit der „Current“-Ausgabe in Bad Cannstatt seid und damit ja auch ein Zeichen setzt, dass dort gerade viel passiert. Auch die Stadt und Gemeinderäte haben darüber gesprochen, dass es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten so viele Tranformationsprozesse geben wird, die wir gerade teilweise schon erleben: räumlich, stadtplanerisch aber auch gesellschaftlich. Ich glaube, dass Kunst im öffentlichen Raum das Potenzial hat, um dem Ganzen auf einer anderen Ebene zu begegnen. Das „Current“ ist einfach ein super Format, um das gebündelt zu tun.

Sylvia: Ich freue mich sehr aufs nächste „Current“ und ich find’s total wichtig, dass ihr nach Cannstatt geht. Eigentlich muss die Kunst im öffentlichen Raum auch noch viel weiter raus. Stephan und ich hatten mal eine Reihe gemacht außen rum und das war teilweise ganz schön harsch muss ich sagen, weil wir sehr performativ und partizipativ arbeiten und dem dann auch in einer gewissen Art und Weise ausgesetzt sind. Man steht da dann mit seiner Installation und ist einfach sehr angreifbar. Auch das Soziale ist bei Kunst im öffentlichen Raum sehr wichtig! Kunst kann ein Anlass sein, sich zu begegnen und da kann alles passieren: Manche schreien einem ihren Hass entgegen, andere sind völlig einsam und freuen sich, dass sie mit jemandem sprechen können. Das ist irgendwo auch ein Realitäts-Check.

Wortwechsel Kunst im öffentlichen Raum

von links nach rechts: Sylvia, Tosin, Jeroo, Laura

Laura: Im Prinzip bekommt man durch ästhetische Erfahrungen einen anderen Zugang. Es geht ja auch um Fiktionen, einerseits, aber vielleicht auch Wünsche und um Vorstellungen, die in Planungsprozessen normalerweise vielleicht nicht so ausgesprochen werden oder auch um die kritische Betrachtung von Prozessen. Ich finde, Kunst ist da eine Form, die gesellschaftliche Prozesse kritisch betrachtet.

Tosin: Das ist ja auch das Spannende an der Kunst, speziell im öffentlichen Raum, weil der frei zugänglich ist. Man erreicht Menschen, die man jetzt vielleicht nicht unbedingt als klassische Zielgruppe hat. Gleichzeitig ist es eine enorme Herausforderung, weil man diese Menschen auch ungefragt erreicht. Man knallt denen da einfach was vor die Nase – ob sie wollen oder nicht. Das ist eine totale Verantwortung, wenn man den öffentlichen Raum bespielt.

Laura: Das ist ein wichtiger Aspekt, dass Kunst im öffentlichen Raum etwas Unmittelbares haben sollte, sodass ein Perspektivwechsel angeregt wird. Andererseits ist es ebenso wichtig, eine Vermittlung anzubieten. Gerade für Kunstwerke, die im öffentlichen Raum stehen, finde ich das auch wichtig, denn es ist ja oft auch so, dass man sonst gar nicht nachvollziehen kann, um was es geht.

Tosin: Ein gutes Beispiel dafür war letztes Jahr die Verhüllung der Kaiser-Wilhelm-Statue auf dem Karlsplatz vom Künstlerkollektiv ReCollect. Das ist ein junges, afrodiasporisches Kollektiv, das ein unglaublich gutes Projekt gestartet hat. Die Statue war unter einem roten Samttuch verhüllt, drei Tage bevor die eigentliche Performance an den Start ging. So stand die verhüllte Statue drei Tage lang unkommentiert auf dem Platz und hat einen regelrechten Shitstorm ausgelöst. Diese Diskussionen sind gut und wichtig, zeigen aber auch, dass man sich bei der Vermittlung viele Gedanken machen muss.

JEROO: Ein schönes Beispiel für Kunst im öffentlichen Raum war auch die Kunstausstellung im Hauptbahnhof letztes Jahr. Da ist aber bestimmt noch Luft nach oben! Ich hab ein bisschen das Gefühl, in Stuttgart wurde vor allem der Theaterbereich viel unterstützt und gerade im Graffiti- und Streetart-Bereich kann man eigentlich mit sehr kleinen Budgets schon viel machen. So kann man ein ganzes Viertel aufwerten und das Identifikationspotenzial erhöhen. Gerade auch, wenn man die Leute miteinbezieht, schafft man eine Verbindung zwischen Menschen und Kunst. Das macht es umso schöner!

Tosin: Das freut mich total. Ich glaube, die Herausforderung für uns als Kulturamt ist auch, da weiterzumachen und mit dem Feedback zu arbeiten. Das ist unser Ziel: Gemeinsam mit der Szene das Programm weiterzuentwickeln, agil zu bleiben und sich an Bedürfnisse anzupassen. Wir sehen uns da selbst als lernende Organisation und sind angewiesen auf den Austausch. Dieses Jahr wird es noch tolle Projekte im öffentlichen Raum geben: Einige davon thematisieren Stuttgarter Frauen, außerdem planen wir gerade noch eine Ausschreibung zum Thema Erinnerungskultur fürs nächste Jahr.

Sylvia, Laura und Tosin

Vielen Dank für diesen interessanten Austausch!
Weitere Infos gibt’s unter:
stuttgart.de/kultur/kulturelle-vielfalt
current-stuttgart.de

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