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Plattform 02/17:
Make Linsen und Spätzle great again!

Von Superfood-Fake, Essens-Dogmen und warum wir wieder mehr auf unseren Bauch hören sollten.

Wenn ich heute meinen Instagram-Feed öffne, habe ich das Gefühl, ich lebe in einer sehr schwarz/weiß geprägten Fresswelt. Da kämpft die super healthy Acai-Guave-Mango-Spirulina-Raw-Cacao-Nibs-Bowl (natürlich milchfrei – glutenfrei – zuckerfrei – spaßfrei) gegen den ultra fetten Triple-Cheese-Wagyu-Bacon-Burger (natürlich im selbst gebackenen Brioche Burger Bun) gierig um jedes Like, jedes Feedback, jeden Follower. Grau getönte und völlig bodenständig normale Mahlzeiten essen doch eh nur noch Futterspießer. Und ich frage mich oft: Warum sind dann genau diese Spießer-Gerichte, wie klassisch-leckere und vor Butter und Eier nur so strotzende Rührkuchen, die meistgelesenen auf meinem Blog? Und wann genau wurden wir eigentlich solche Food-Fetischisten?

Wären Weizenmehl, Zucker, Butter, Milch oder Eier Personen; sie wären längst geteert und gefedert durch Clean-Eating-Hausen getrieben worden. Fruktose, Laktose und Gluten sind das ausgerufene Triumvirat des Schreckens und die Schar der intoleranten Foodaholics, die am liebsten Weihwasser und ein Kruzifix zur Austreibung solcher futtergewordenen Sünden aus sämtlichen Speisekarten einsetzen würden, wächst gefühlt stetig. Heute essen wir nicht mehr nur, um satt und glücklich zu werden. Nein, Essen ist ein Stilmittel geworden, um unsere Individualität darzustellen und ethische sowie moralische Grundsätze in die Welt hinauszutragen. Das Motto könnte auch lauten: „ICH … esse / esse nicht / lebe vegan / gehe samstags auf den Markt und kaufe mein Gemüse nur beim Biobauern/verzichte auf Kohlenhydrate/detoxe gerade / beziehe mein Fleisch vom Metzger des Vertrauens / trinke meinen Mare Gin grundsätzlich nur mit Mediterranean Tonic … ALSO BIN ICH.“

Früher, da war das mit der Nahrungsaufnahme irgendwie wesentlich unkomplizierter. Denn – da wurde gegessen, was auf den Tisch kam. Ich erinnere mich an herrlich verkaterte Sonntage, an denen ich nach wenigen Stunden Schlaf um 12:30 Uhr an den Mittagstisch gerufen wurde, um postalkoholhungrig die weltbesten Linsen mit Spätzle in mich reinschaufeln zu können. Das Gesicht meiner Mama hätte ich gerne gesehen, wenn ich ihr eröffnet hätte, dass meine Spätzleportion aber doch bitte gluten- sowie eifrei sein sollte, das Saitenwürschtle vegan und das Saftschorle aus Bio-Direktsaft von heimischen Streuobstwiesle im Remstal. Sie hätte mich wohl kopfschüttelnd und mahlzeitbefreit direkt wieder ins Bett geschickt.

Früher, in den wilden Nächten am Palast oder im Unbekannten Tier, zog man im Morgengrauen immer noch rüber in das legendärste Currywurstmekka der Innenstadt – das Zum Zum. Ich erinnere mich noch genau an die virtuose einarmige Dame, die in Windeseile Würste zerkleinerte, Pommes in Schalen verteilte und die angetrunkene Bande im ganzen Laden im Griff hatte. Damals hinterfragte keiner der Gäste, ob die Currywurst vom Schwäbisch Hällischen Landschwein stammte oder das Bier aus einer hippen Craft Beer Manufaktur. Gegessen und getrunken wurde, was die wunderbare Mrs. Zum Zum servierte. Und die lustigsten Spontanfeten, skurrilsten Bekanntschaften und bierseligsten Gespräche mit wilden Nachtgestalten über Gott und die Welt gab es dort immer noch völlig umsonst oben drauf.

Natürlich dreht sich die Erde auch weiter und Umdenken, Querdenken und Hinterfragen sind in der Tat wichtige Faktoren, um eine Fress-Evolution voranzutreiben. Auch ich nehme meinen Einfluss als Verbraucher wahr, mich interessiert sehr, woher meine Lebensmittel stammen und ich ernähre mich wesentlich bewusster und gesünder als noch vor Jahren. Und klar, ich habe auch schon so manchen Green Smoothie gemixt und ausprobiert. Aber irgendwie werden wir beide nicht so recht warm miteinander. Er ist mir einfach zu breiig und einen Ticken zu grün. Beim so super hippen Chiapudding war ich sogar schon beim ersten Löffel raus. Alleine beim Anblick dieses froschlaichartigen Glibberzeugs schüttelte es mich zutiefst. Und ich muss auch kein Acaipulver für teures Geld kaufen, wenn ich genau so gut heimische Blaubeeren essen kann. Die sind nämlich noch reicher an Vitaminen und Antioxidantien und müssen nicht um die halbe Welt geflogen werden.

Selbst wenn mir die riesige Instagram-Food-Community vehement weis machen möchte, dass das einzig wahre Frühstück eine „Overnight Oats Bowl with Golden Turmeric Soy Latte“ sein muss – am Ende des Tages beiße ich morgens halt doch am liebsten in eine knusprige Butterbrezel und genieße dazu einen großen Becher Milchkaffee.

Ja, wir sollten also öfter mal wieder auf unseren Bauch hören. Der flüstert uns nämlich sehr verlässlich zu, was er sich gerade sehnlichst wünscht. Und selbst wenn er Dir mal sagt, dass er nachts um halb drei total Bock auf einen Schweinebauch/dunkel/scharf vom Brunnenwirt hat – dann sei einfach gut zu ihm und gib ihm, was er braucht. Dafür kannst Du ihm ja am Tag darauf eine schöne, vegane Suppe kochen. Oder einen leckeren und gesunden Karottenkuchen backen. Hauptsache, es schmeckt Dir und macht Dich glücklich. Und dann – genau dann – wird Essen nämlich wirklich zum Superfood.

 

trickytine.com

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