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PLATTFORM #83:
„WIRD STUTTGART WIEDER ERSTKLASSIG?”
VON MARIUS LEHNERT

discotronic Plattform Marius Lehnert reflect Stuttgart VfB

Der DJ und Produzent ist nicht nur mit seinen eigenen Eventreihen „Discotronic“ und „DEEPER!“ erfolgreich, sondern auch als Booker fürs Kowalski und das „Electric Baroque Open Air“ unterwegs. Wenn er nicht gerade im Stadion mitfiebert.

Der VfB Stuttgart ist abgestiegen. Mein VfB. Erste Bundesliga, ciao! Der triste Zweitligaalltag hat uns wieder. Obwohl wir diesen nach einem Jahr der Zugehörigkeit doch im Sommer 2017 in aller Euphorie des Wiederaufstiegs für immer in die tiefste Schublade des Vergessens gesteckt hatten.

Für einen langjährigen, glühenden VfB-Anhänger wie mich schwer zu verkraften. Schnöde Montagabendspiele gegen prüde Provinzmannschaften wie den SV Sandhausen oder Erzgebirge Aue statt Samstagnachmittage mit Hochkarätern wie Borussia Dortmund oder dem FC Bayern München.

Wobei wir Stuttgarter, die auch gerne mal am Wochenende den einen oder anderen Techno-Club besuchen, ja mittlerweile eigentlich Zweitklassigkeit gewohnt sind. Die glorreichen Zeiten sind vorbei: legendäre Läden wie der Club Prag und das alte M-1, die beide unabhängig voneinander europaweit große Namen waren, oder das Rocker 33, mehrfach unter die fünf besten Clubs Deutschland gevotet, gehören längst der Vergangenheit an. Manch inzwischen alter Hase träumt noch von dunklen Nächten voller Strobo und Nebel am Pragsattel oder von unvergessenen Morgenstunden im sandigen Innenhof einer alten Bahndirektion. Doch die harte Realität hat uns eingeholt: Viele Clubs sind verschwunden, einige wenige halten tapfer weiterhin unter erschwerten Bedingungen die Fahne hoch.

So auch die VfB-Anhänger, die unfassbar treu zu ihrem Club stehen, den vierthöchsten Zuschauerschnitt der gesamten Bundesrepublik generieren und sowieso ihren Verein ganz tief im Herzen tragen: „Des isch hald mei VaueffBeee!“. Erstklassig waren wir Fans schon immer und werden es auch immer sein. Aber wird es in Zukunft auch endlich wieder erstklassige Rahmenbedingungen geben, die uns traumhaft herrliche Tage wie den Gewinn einer deutschen Meisterschaft bringen wie 2007? Für mich ja immer noch der schönste Tag im Leben: erst Hitzlspergers Traumtor im Stadion frenetisch bejubeln, dort sowie später am Schlossplatz die Meisterschale begeistert beklatschen, um nachts noch ausgelassener als sonst im VfB-Trikot den Titelgewinn bei der „Neuen Heimat“ im Prag zu feiern – ach jaaa …

Womit wir wieder beim Clubleben wären. Auch hier hilft das Schwelgen in alten Erinnerungen nicht, es muss von allen Seiten angepackt werden. Und tatsächlich ist Hoffnung in Sicht: das 2012 gegründete Clubkollektiv, ein Zusammenschluss diverser Clubs und Veranstalter der Stadt (genreübergreifend!), gibt seit geraumer Zeit richtig Gas und hat bereits einiges bewegt. Podiumsdiskussionen vor der letzten Kommunalwahl, konkrete Termine mit Verantwortlichen – es tut sich was. Plötzlich sprechen sich alle politischen Parteien für einen Nachtbürgermeister aus, die Relevanz der Clubs und des subkulturellen Nachtlebens generell scheint bedeutender geworden zu sein. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann möchte nun sogar im Bundestag die Änderung eines Gesetzes dahingehend bewirken, dass Clubs in Zukunft nicht mehr auf eine Stufe mit Bordellen gestellt werden und somit auch in Randgebieten der Stadt gedeihen können (ja, bislang werden Clubs mit Bordellen und Spielcasinos gleichgesetzt und daher nur im Bezirk Mitte konzessioniert, was vieldiskutierte Probleme mit sich bringt – Stichworte: Anwohner, Lärm, Müll).

Die Mühlen fangen also scheinbar an, in unserem Sinne zu mahlen! Ob das auch für den VfB gilt? Man darf gespannt sein, wie der Meisterschafts-Torschütze von 2007, Thomas Hitzlsperger – heute Vorstand Sport – versuchen wird, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Sicher ist, dass ein Großteil der Versager-Mannschaft der vergangenen Saison gehen muss, um einen wirklichen Neuanfang zu stemmen. Alte Zöpfe werden also abgeschnitten, damit etwas Neues erwachsen kann. Ähnlich dem hiesigen Nachtleben: Auch hier müssen wohl erst viele Lokalitäten dicht machen und Gegebenheiten geändert werden, um dann wieder im alten Glanz zu strahlen, damit ganz Deutschland mit dem Finger aufs Ländle zeigt – und zwar nicht voller Hohn und Spott, sondern mit Bewunderung. Denn das mögen wir Stuttgarter ja ganz gerne; eine Stadt, auf die man stolz sein kann und die man gerne seine Heimat nennt.

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