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Wecker, Du Uhrensohn!

Wenn der Wecker morgens rasselt und der Tag nimmt seinen Lauf, ist die Stimmung mir vermasselt, denn ich steh’ so ungern auf.“ Was Laing in ihrem Song „Morgens immer müde“ ganz gut auf den Punkt bringen, ist die wenig überraschende Tatsache, dass die meisten Menschen ungern aufstehen – vor allem von Montag bis Freitag, wenn die Arbeitswoche ruft: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Das ist ganz weit weg von „richtig Bock drauf“ und schreit noch lauter: „Gestörter Biorhythmus“.

Sonntag, 16 Uhr, der Kater schnurrt (vor allem nach einer fetten Fete wie dem „Club Miaow“ in der Rakete): Ja, gestern war die Nacht mal wieder heiß und wild, heute ist der Tag im Eimer und mir ist übel, richtig übel – vom Magen her und beim Gedanken an morgen … denn dann ist schon wieder Montag! Beides stößt mir bitter auf und trotzdem kann ich mich glücklich schätzen, denn ich arbeite frei und kann mir damit erlauben, den Tag so zu gestalten wie ich Böcke drauf habe. Dazu gehört vor allem und in erster Linie: Ausschlafen! Warum? Das hat „New Girl“-Schauspielerin Zooey Deschanel ganz gut zusammengefasst: „In an ideal world no one would talk before 10 am. People would just hug, because waking up is really hard.“ Ich bin eben Spätaufsteher und eine waschechte Nachteule – demzufolge schlafe ich gern aus. Dass es dann mal 10 oder 11 Uhr ist, bis ich an meinem PC sitze und anfange in die Tasten zu hauen, juckt mich persönlich wenig (schließlich arbeite ich dann auch bis 22/23 Uhr). Andere hingegen schon. Denn die früh aufstehenden Kratzbürsten (kein Wunder, bei so wenig Schlaf) belächeln meine Art zu leben bzw. zu arbeiten und drücken mir Sprüche ohne Ende – zum Gähnen, obwohl … ich bin ja ausgeschlafen!

Sowas kann zwar nerven, lässt mich aber mittlerweile auch kalt. Denn ich bekomme nicht immer, aber immer öfter die Bestätigung, dass ich gar nicht so schief gewickelt bin. Vor Jahren habe ich in der Neon einen Artikel mit einer Überschrift gelesen, die bei mir direkt ins Schwarze traf: „Die Nachteulen“. Ich zitiere den Vorspann: „Spätaufsteher gelten als faul – ganz egal, ob sie im Gegenzug bis spät abends arbeiten oder nicht. Dieses Vorurteil kostet unsere Gesellschaft viel Kraft und Geld, wie unser Autor herausgefunden hat: Er besuchte Firmen in Dänemark, in denen jeder zu arbeiten anfangen kann, wann er will. Diesen Firmen – und ihren ausgeschlafenen Mitarbeitern – geht es besonders gut.“ Ding Ding Ding – Volltreffer! Wer es selbst noch nicht erlebt hat, dem sei gesagt: Nur wenig gibt einem so ein gutes Gefühl, wie unter Gleichgesinnten zu sein.

Weiter im Text, es folgten Aussagen wie „Jeder fünfte Mensch lebt gegen seinen Rhythmus, indem er zu früh aufsteht“, „Deutsche Chronobiologen haben bewiesen, dass die Gene entscheiden (nicht die Bequemlichkeit), wann man am Morgen wach und wann man am Abend müde wird. Das Gehirn der Spätaufsteher ist selten vor zehn oder elf Uhr leistungsfähig. Diese Menschen sind, wenn sie gegen ihre Natur leben müssen, besonders anfällig für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs und Depressionen. Sie greifen häufiger zu Nikotin und Alkohol“, „Wenn nicht mehr jeder zwischen acht und neun Uhr anfangen muss zu arbeiten, gibt es weniger Staus“ (Gerade in Stuttgart ein Träumchen, weniger Feinstaub und so!), „Jobs werden immer individueller und globaler, Kreativität ist wichtiger als das Herstellen von Gütern – aber unsere Arbeitszeiten sind noch die des Industriezeitalters“.

Ja, ihr merkt, dieses Thema beschäftigt mich und ich werde nicht müde, es zu betonen. Warum funktioniert es in Dänemark, eine neue Gesellschaftsform – die sogenannte „B-Gesellschaft“ – ins Leben zu rufen und in Deutschland lebt man weiter nach dieser preußischen Kultur, bei der gilt: Nur wer früh aufsteht, ist tatkräftig, dynamisch und leistungsstark? Erst kürzlich bezeichnete ein Wissenschaftler diese Sichtweise im ZEITmagazin als gesundheitsgefährdend. Schön, dass ich in meiner Schulzeit ein absolut unverhältnismäßiges Schlafdefizit angehäuft habe. Herzlichen Dank dafür. Die Frage, warum die Schulen in Deutschland nachgewiesen früher beginnen als in anderen Ländern Europas, sollte deshalb mehr als einmal in den Raum geworfen werden. Klar, manch einer mag jetzt mit dem Argument um die Ecke kommen: „Ach, ein junger Körper steckt das doch leichter weg.“ Ja gut. Sicherlich habe ich als junge Göre auch mal problemlos durch- oder aus einer durchzechten Nacht gleich zwei gemacht (geht heute übrigens sowas von gar nicht mehr.) Und das ist natürlich mindestens genauso schlecht für die Gesundheit – aber es passiert zumindest auf freiwilliger Ebene!

Was ich damit sagen will ist: Die Gesellschaft, Politik oder wer auch immer dafür verantwortlich ist, muss umdenken. Alles – na gut, Absolutheitsansprüche haben noch niemanden weitergebracht – einiges spricht gegen die Dominanz von Frühaufstehern. Und von wegen der frühe Vogel kann mich mal – jeder so wie er mag. Und darum geht es doch: um Toleranz und die Offenheit andere so zu akzeptieren, wie sie sind. Und ich muss mir keine Sorgen mehr machen, dass mit mir angeblich etwas nicht stimmt, sondern verhalte mich ganz natürlich und höre eben auf meine innere Uhr, die ganz im Tanne-Takt vor sich hin tickt: „Ich bin morgens immer müde, aber abends werd’ ich wach.“

 

Mehr von Autorin Tanne gibt‘s hier: instagram.com/plastiktanne

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