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Flying Lotus

Steven Ellison alias Flying Lotus ist Produzent experimenteller, elektronischer Musik und gleichzeitig Rapper. Auf seinem fünften Album „You’re Dead!“ nimmt er seine Hörer mit auf eine Reise ins Totenreich – und bleibt dabei erstaunlich positiv. Neben Electro und HipHop spielt auch Jazz eine große Rolle auf der Platte. Kein Wunder, schließlich steht ihm kein Geringerer als Jazz-Legende Herbie Hancock musikalisch zur Seite. Mit Gastauftritten von Snoop Dogg, Kendrick Lamar und Thundercat als Co-Produzent hat sich der Kalifornier für seine vielschichtigen Songs noch mehr hochkarätige Unterstützung geholt.

Wie ist die Idee zu deinem neuen Album „You’re Dead!“ entstanden?
Ursprünglich begann alles eher im Spaß. Wir waren mit dem Auto unterwegs und ich hörte zusammen mit Thundercat einen Song von George Duke. Plötzlich fragten wir uns, „Warum machen wir nicht auch mal so abgefahrenes Zeug wie der?“ und Thundercat schaute mich an und sagte: „Wir können das auch! Lass uns was machen, das den Leuten so richtig die Köpfe wegbläst!“ und ich sagte bloß: „Fuck it, you’re dead!“ Und da war er, der Startschuss zu „You’re Dead!“.

Das Album startet nicht wie in gängigen Klischees vom Tod mit trauriger Musik, sondern mit verwirrenden Klängen – warum?
Ich glaube so fühlt man sich als erstes, wenn man stirbt: Man ist verwirrt und fragt sich, wie einem das passieren konnte. „Was ist das für eine Erfahrung, die ich hier gerade mache?“ Genau dieses Gefühl soll der Anfang des Albums aufgreifen. Es sollte sich nicht ruhig und friedlich anfühlen, sondern eher wie eine große Explosion. Eigentlich ist es eher wie eine Geburt, die Geburt einer neuen Erfahrung.

Hast du selbst schon eine Nahtoderfahrung gehabt?
Ich habe eine gewisse Verbindung zu den Nahtoderfahrungen, von denen oft erzählt wird: dem langen Lichttunnel, den Stimmen und Farben und so weiter. Was die Leute erzählen hat große Ähnlichkeit mit meinen psychedelischen Erfahrungen und ich versuche, deren kollektive Erkenntnisse in meine Vorstellungen einzubringen.

Auf deinem Album unterstützt dich die Jazz-Koryphäe Herbie Hancock. Wie hast du ihn kennengelernt?
Ich arbeitete mit einem Typen von Ableton, der mit Herbie Hancock zusammenarbeitete, und vorschlug, wir zwei sollten doch mal gemeinsam etwas machen. Und dann bekam ich eines Tages einen Anruf von ihm und er hinterließ mir eine Voicemail: „Hey, hier ist Herbie Hancock! Wie geht’s dir so? Ich versuche seit Monaten dich zu erreichen!“ Ich dachte erstmal „What?“, rief ihn dann aber zurück und er schlug vor, gemeinsam einige Shows zu machen. Und ich fragte ihn dann, was er sich denn vorstellt, was ich da machen soll. Wir überlegten ein wenig hin und her und am Ende kamen wir zu diesem Konzept. Ich wollte ihn dabei haben, ich hatte bisher keinen Klavierspieler und der, der früher für mich spielte, Austin Peralta, ist gestorben. Es gab also große Fußstapfen zu betreten und Hancock war der einzige, der dessen würdig war. Also kam er ein paar Mal bei mir vorbei und wir nahmen unsere Ideen auf. Er gab mir eine Menge Selbstvertrauen an dem Album dranzubleiben und vor allem gab er mir als traditionellem Musiker seinen Segen. Besonders inspirierend war für mich das Gefühl, dass auch er sich bei mir gut aufgehoben und sozusagen richtig fühlte.

Dafür, dass dein Album mit dem Tod beginnt, geht es danach wie in einer Achterbahn durch überraschend viele musikalische und thematische Dimensionen. Glaubst du, dass es nach dem Tod einfach weitergeht, an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube, es ist mehr als das. Ich glaube, dass nach dem Tod mehr als ein schwarzes Nichts kommt. Ich denke, dass unser Dasein ewig ist. Der Tod könnte einfach der Beginn einer sehr langen Erfahrung werden. Vielleicht ist der nächste Schritt dazu da, um zu verstehen, wer wir vorher waren und das loszulassen. Das ist etwas, das ich mit der Platte ausdrücken wollte: Dass wir daran gebunden sind, was wir einmal waren. Wir verlieren unsere Identität, wir verlieren unseren Namen und all das, was uns gar nicht wirklich ausmacht. Es macht unser Ego und unsere Figur aus. Irgendwann sind wir all das los und am Ende gibt es einen Moment, in dem wir realisieren, dass unser Dasein ewig ist und dass unsere Liebe uns beeinflusst und alles, was wir in unserer Zeit auf der Erde beigetragen haben, ewig weiterbesteht. Das ist das Statement, „The Protest“.

Du sagst, im Grunde wird einem durch den Tod eines lieben Menschen sein eigener Egoismus bewusst, weil man sich danach fragt, wie man ohne diese Person weiterleben soll…
Und auch, wie es sich anfühlt. Das Gefühl für jede Person die stirbt, ist anders. Als meine Mutter starb habe ich mich zum Beispiel anders gefühlt als zu dem Zeitpunkt, als es für meine Großmutter an der Zeit war zu gehen. Bei meiner Mutter habe ich mich etwa auch anders gefühlt als bei Austin, meine Mutter war einfach meine Mutter. Es gibt Fragen, die nie beantwortet werden können. Einen Teil meiner Vergangenheit werde ich nie kennenlernen. Ein Teil unserer Beziehung wird nie ganz geklärt werden, weil ich sie nicht mehr fragen kann. Deswegen ist das, was ich für sie fühle anders als für Austin. Er ist nunmal ein Kind, das nie die Chance hatte, sein ganzes Potenzial zu entwickeln. Er konnte das, was er angefangen hat, nicht beenden, was eine Tragödie ist. Daher sind meine Gefühle für diese Sache vollkommen anders. Wer auch immer als Nächster geht, für ihn werden meine Gefühle auch anders sein.

Hat dir die Arbeit an „You’re Dead!“ geholfen, mit der Trauer fertig zu werden?
Absolut, und das ganze auf die leichte Schulter zu nehmen auch. Ich wollte dem Tod auf gewisse Weise ins Gesicht lachen. Ich wollte auf offene Konfrontation gehen, ohne mich hinter Metaphern oder Symbolen zu verstecken. Es geht um den Tod, es geht um‘s Verlieren. Es geht um das, was danach kommt. Und ich denke, dass sich Künstler aus allen Kunstrichtungen durchaus mit dem Tod auseinandersetzen. Es ist etwas, das uns fasziniert und ich denke, dass man durch Kunst seine Trauer verarbeiten kann. Das war zumindest bei mir so, ich kann aber auch verstehen, dass Leute sich nicht von so etwas inspirieren lassen wollen. Es ist aber irgendwie der einzige Weg, Antworten zu bekommen.

Du warst als Teenager großer Fan von Death Row Records und besonders von Snoop Dogg. Jetzt ist er auf deinem Album auf „Dead Man’s Tetris“ zu hören. So wie der Tod den Kreis des Lebens schließt und dann deiner Meinung nach doch weitergeht, schließt sich auch hier ein Kreis, dein Idol aus Teenagertagen mit auf „You’re Dead!“ zu haben?
Ganz genau, der Kreis schließt sich. Das Konzept von „You‘re Dead!“ und alles drumherum ist für mich etwas ganz besonderes. Thematisch macht es für mich sehr viel Sinn, dass er in diesem Song dabei ist. Er ist sowas wie der ausschlaggebende Faktor. Das ist er, weil er mich dazu gebracht hat, Musik zu machen. Ich war zehn Jahre alt, als Snoop Doggy Dogg und sein „Doggy Style“ rauskamen und das war mein Leben. (lacht) Ja, es ist so cool und einfach lustig.

Was Snoop Dogg zu deiner Jugend war, ist heute Kendrick Lamar. Der ist auch auf deinem Album, auf der Single „Never catch me“, in der er dem Tod die Stirn bietet. Da ihr im selben Umfeld lebt, seid ihr inzwischen sowas wie Freunde?
Wir sind keine super engen Homies, aber er kam für die Aufnahmen zu mir. Es war toll, weil er alleine kam. Für mich ist das ein gutes Zeichen, weil es beweist, dass der Künstler mit Ernst bei der Sache ist. Ich habe oft erlebt, wie Leute mit ihrer ganzen Entourage kamen und ich schon wusste, wie die Session laufen wird. Aber er kam allein. Er kam, um zu arbeiten und das war toll.

You´re Dead! erscheint am 06.10.2014

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