Interview

Interview:
Fetsum

Als Sohn einer eritreischen Flüchtlingsfamilie in Stuttgart aufgewachsen, machte Sänger Fetsum seine ersten musikalischen Erfahrungen mit HipHop. Schon kurze Zeit später lässt der in Ägypten geborene Künstler aber auch Genres wie Soul, R&B, Folk, Pop, Jazz und Reggae in seinen Sound einfließen – Hauptsache, es bleibt melodisch. Wichtiger ist ihm dabei ohnehin die Aussage der Musik: Politische und gesellschaftliche Anliegen werden gekonnt in Songs gepackt und auch abseits der Bühne engagiert sich der Wahlberliner. So veranstaltete er im Sommer das Benefiz-Festival „Peace x Peace“ mit Künstlern wie Seeed, Beatsteaks, Max Herre, Patrice oder Cro und liefert im Gespräch mit Bundestages-Vizepräsidentin Claudie Roth mit dem Buch „So geht Deutschland – Eine Anstiftung zum Mitmachen und Einmischen“. Auch der Erlös seiner aktuellen EP „Light in a dark place“ wird gespendet. Wir haben mit dem Sänger und Songwriter über seine alte Heimat, die Motivation hinter seiner Arbeit und natürlich die neuen Songs gesprochen.

Du kommst aus Stuttgart, lebst mittlerweile aber in Berlin. Was sind deine schönsten Erinnerungen an die Stadt?
Das sind so viele – Stuttgart ist mein Zuhause. Eine meiner liebsten Erinnerungen ist zum Beispiel die Hi Bar, in der ich donnerstags als Student gearbeitet habe. Ein kleiner Club mit tollen DJs – ich denke damit haben wir ein bisschen Stuttgarter Kultur geprägt.

Hast du einen Lieblingsort, wo du auch jetzt noch gerne hin gehst?
Die Tatti Bar ist einer meiner liebsten Orte, davor war’s die Caffè Bar. Ansonsten ist auch der Kräherwald toll, da war ich früher oft joggen. Als Kind natürlich auch den Max-Eyth-See, wo ich gewohnt habe. Als wir nach Deutschland kamen hat meine Mutter die ersten Jahre bei den Amis gearbeitet, in den Robinson Barracks am Pragsattel oben, das mochte ich total gerne, weil es für mich als Kind immer so war, als ob man in ein anderes Land geht. Die ganzen Rahmenbedingungen habe ich damals noch nicht so gut verstanden, aber es war super spannend und das hat mich natürlich später auch in meinem Musikgeschmack ganz extrem geprägt, diese Faszination mit dem Land Amerika und dem HipHop, der da her kam. Ich habe als Jugendlicher sonntags total oft Country gehört auf AFN. Selbst wenn man nicht alles verstanden hat, hatte das immer was sehr Poetisches und ich fand die Einfachheit so toll. Dieses folkige, erzählerische, das Storytelling daran liebe ich bis heute. Außerdem natürlich die ganze 0711-Ära, was ja komplett die deutsche Kultur geprägt hat – von Fashion bis hin zu Sprache. Und dann erinnere ich mich noch an diese ganzen Amiclubs in Stuttgart, wo ich mit 14/15 dann schon auf 18 getan hab, einfach um da reinzukommen. All das hat mich geprägt und war für mich eine Plattform, auf der ich angefangen habe zu laufen. Ich bin ja auch ein Spätzünder, was die Musik angeht, ich habe ja erst mit 20/21 begonnen: Mit den Southside Rockers, die ich und Harris zusammen sozusagen „gemanagt“ haben und nebenher das Arbeiten in der Plattenfirma. Ich finde es immer wieder erstaunlich – für das, dass Stuttgart ja praktisch eine eher kleine Großstadt ist – wie viel Kultur da her kommt. Ich bin jetzt 40 geworden kürzlich. Klar fühl ich mich immer noch wie 25, weil ich immer noch denselben Schalk im Nacken habe, aber wenn ich mich an Stuttgart Anfang der Achtziger erinnere und das dann heute sehe, wenn ich Familie oder Freunde besuchen bin – das sind zwei verschieden Städte! In den letzten zwei Jahren war ich viel in den USA und in England, um meine Platte aufzunehmen und immer wieder, wenn ich Leute aus Deutschland getroffen habe, kamen die aus dem Raum Stuttgart – oder sagen zumindest Stuttgart, kommen aber aus Reutlingen! (lacht)

Gibt es besondere schwäbische Eigenheiten, die du beibehalten hast?
Der Zungenschlag! Ich denke immer, ich würde total hochdeutsch sprechen und kaum steh ich auf der Bühne kommt die Frage: „Sag mal, bist du Schwabe?“ – woher wisst ihr das! Ich liebe natürlich auch die schwäbische Küche – Zwiebelrostbraten mit Spätzle, woisch! Auch hier in Berlin merkt man den Leuten aus dem Süden die Mentalität an. Auch diese Arbeitseinstellung, „dass man halt was schafft“! Geilster Spruch auch aus Stuttgart: „und, was machst du so?“ – „ja, ich mach Musik …“ – „und was schaffst du?“ (lacht) So viel zum Klischee.

Trotz der teilweise kritischen Thematik bleiben deine Songs immer positiv – sieht man dich auch mal richtig wütend?
Das eine ist das, was uns ausmacht, der Grundzug unserer Charakters, was nicht heißt, dass wir die anderen Züge nicht haben. Ich bin oft wütend, aber ich versuche, dass wenn dieses Gefühl aufkommt, ich es in etwas Konstruktives umwandle und sage mir nimm diese Energie und mach was draus, lass dir nicht irgendwas kaputtmachen. Ich habe ja dieses Peace x Peace Festival diesen Sommer initiiert – in dem Jahr, in dem ich versucht habe, das zu organisieren, war ich so oft verzweifelt, weil ich gemerkt habe, wie schwierig das ist, wenn so eine politische Grundstimmung entsteht und die Menschen unsicher sind und vieles, was sich so in den letzten zwanzig, dreißig Jahren angesammelt hat einfach an einem Punkt rauslassen. Und dann die Spenden für Kindern zu sammeln – ich war selbst Flüchtlingskind, aber ich hatte einfach brutales Glück im Leben und deshalb bin ich vielleicht auch ein positiver Mensch, weil ich weiß, dass es immer tolle Menschen geben wird, die sich selbst fast zerreißen, um anderen zu helfen. Und das ist mein Beitrag für ein Land, das ich liebe und in dem ich lebe. So ist eben eine Gesellschaft – du tust hier was, ich tu da was und wenn wir alle tun was wir können, ist das eine nicht mehr Wert als das andere, wenn das dein Limit ist von dem was du tun kannst. Wenn wir das alle wirklich täten, würden wir im Paradies leben. Sorry fürs Bombardieren mit Sprüchen, aber man muss versuchen das Unmögliche möglich zu machen. Nur solche Utopien sorgen dafür, dass wir uns strecken.

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Man merkt auch, dass das etwas ist, was dich sehr antreibt.
Mir fällt das immer auf: Mitteleuropa ist Disneyland, wir leben hier im Schlaraffenland. Und egal wo du bist – du musst halt schauen, wo du hingehst! Sei kein Hans im Glück, aber wohn’ auch nicht im Panic Room. Ich hab mal eine Zeit lang bei einer Freundin in New York gewohnt, in einem Teil von Harlem, der ein bisschen gentrifiziert war. Da waren einfach junge Studenten aus Europa, die da auch gewohnt haben, weil sie sich Manhattan nicht leisten konnten. Klar siehst du das, was du kennst und erwartest, dass da Menschen leben, die einfach nicht so viel Geld haben und auf der Straße abhängen und mit Würfeln spielen, aber auf der anderen Seite eben auch junge Mädels mit goldenen Zöpfen aus Holland, die eben auch dort wohnen. Alles entwickelt sich.

Für deine EP hast du mit einer Reihe herausragender Produzenten zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?

Wie die Mutter Maria zum Kind natürlich. Ich bin ja Optimist – Träumer mit Arbeiterhänden. Hätte ich viel Geld dafür gebraucht, hätte ich mir das nie leisten können. Aber da macht sich manchmal auch der Moment bezahlt, in dem du jemanden kennenlernst und die Qualitäten, die du mitbringst sind eben dann der Türöffner. Guy Chambers hab ich über meinen Manager Konrad Sommermaier kennengelernt, weil er mit dem Bruder von Guy connected war, der eben auch sein Management macht. Diese ganze US-Geschichte hat eigentlich mit „Waiting For You“ vom letzten Album begonnen. Damals bin ich mit meinem Freund Valerio Girardi, der auch Regisseur für das Video war, für drei Tage nach New York und für drei Tage nach L.A. und dort haben wir einfach Menschen bei ihrem Alltag gefilmt. Keiner von denen hat die Musik gehört und Valo hat in sechs Wochen Editing-Arbeit das Video auf den Song geschnitten. Und bei diesem Dreh habe ich in L.A. Leute kennengelernt, die mich vor Ort connected haben. Und dann war auf einmal mein Album im Januar 2013 „Album of the month“ bei KCRW, dem größten Radiosender in Kalifornien und einen Monat später habe ich beim South by Southwest gespielt und bei den Pre-Oscars – so hat das alles angefangen. Ein Jahr später kam ich mit Konrad zusammen und wir haben das, was ich an Vorarbeit geleistet habe genutzt, um über den Verlag Writing Sessions zu organisieren. Auf einmal saß ich da und Linda Perry hat zugesagt, und plötzlich war ich bei Diane Warren, drei Tage lang, bei der erfolgreichsten Songwriterin der USA, über zweihundert Millionen Platten verkauft. Und dann war’s wie immer: Konrad sagte einfach „hey, Fetsum schreibt gerade mit Linda Perry und Diane Warren was“ und Guy Chambers meinte „okay, send them over!“ – und dann sind wir nach London. Und dann wurde ich wie so ein kleiner Wanderpokal weitergereicht. Diese ganze jahrelange Arbeit – ich hab ja zwischen 2009 und 2014 über 400 Konzerte gespielt insgesamt – hat sich bezahlt gemacht, weil ich gesanglich auf einem guten Level war, immer meine eigene Musik geschrieben hab und mich da nicht verstecken musste und die Leute auch gemerkt haben „hey, das ist ja gar kein Vollidiot!“. Fünfzig Prozent bei sowas ist immer die menschliche Komponente, wenn du dich mit den Leuten gut verstehst, wirst du eben immer wieder eingeladen.


Parallel arbeitest du gerade auch an deinem nächsten Album?

Ja klar, wir haben einfach nur gesagt, wir würden 2016 gerne musikalisch abschließen und haben diese EP quasi als Vorgeschmack aufs Album rausgebracht. Ich hab ja 2014, ’15 und ’16 die ganze Zeit nur Songs geschrieben, war in Amerika und England und hab im Prinzip noch zehn bis zwölf Monate unterbrochen, um dieses Festival hinzubekommen. Deshalb hab ich gesagt hey, es war so ein ereignisreiches Jahr mit dem Festival, ich hab den Berliner Landesorden bekommen, dann dieses Buch mit Claudia Roth, dann waren wir noch für den Preis für Popkultur nominiert mit dem Peace x Peace und dann wollte ich eben noch diese EP rausbringen und alle meinten nur spinnst du, es ist doch Weihnachtsgeschäft, aber ich meinte nur ist doch geil, wir wollen ja spenden!

Was machst du zum Entspannen?
Chillen! Nix! (lacht) Nein, ich war jetzt tatsächlich seit anderthalb Jahren mal wieder mit der Familie im Urlaub, verbunden mit einem Auftritt im Oktober in der Karibik für zwei Wochen und haben es uns da gut gehen lassen. Ich meine ich gebe mir schon viel zu tun, aber ich würd’s nicht machen, wenn ich es nicht toll finden würde. Ansonsten eben jede freie Minute mit der Familie verbringen, mit meinem vierjährigen Sohn und meine Frau will mich ja auch ab und zu mal sehen.

Famous last words?
Kauft diese EP! (lacht) Es gab einen Slogan, den wir auf diesem Festival hatten, der lautet „be a peace of it“ – deswegen möchte ich sagen seid ein Teil dieser Welt, be a peace of it!

 

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„Light in a dark place“
ist am 02. Dezember erschienen.
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fetsum.com
 
Am 17. Januar gibt Fetsum im Wizemann ein Konzert – wir verlosen Tickets!
 
Bilder: © Stefan Botev

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