Interview Musik

Jules Ahoi im Interview:
„Ich habe mir vorgenommen, dass ich nichts bereuen möchte.“

Jules Ahoi

Der junge Mann und das Meer: Surf-Fan Jules Ahoi hat von Klavier und Gitarre über Deutschrap bis hin zum Singer-Songwritertum schon einige Stationen hinter sich – und bezeichnet sich auch selbst immer noch als Suchenden. Dass diese Reise aber alles andere als orientierungslos ist, beweist der entspannte Folk-Sound des Kölners. Wir haben uns mit dem Musiker vor seinem Konzert im Wizemann über sein aktuelles Album „Melancholic Dreamwave“, seine Vergangenheit und seine Verbindung zu Stuttgart unterhalten.

Jules Ahoi

Ist das dein erster Stuttgart-Besuch?
Ich habe vor drei Jahren im Keller Klub gespielt. Damals war das noch die „Echoes“-Tour. Und das war großartig. Deshalb habe ich mich jetzt ziemlich auf die Bookingbestätigung in Stuttgart gefreut. Ich kann mich noch daran erinnern, dass im Keller Klub der Schweiß von der Decke tropfte und ich auf dem Tresen stand. Das war wirklich geil. Ich bin jetzt gespannt, was das Wizemann kann.

Du stellst dein neues Album „Melancholic Dreamwave“ vor. Was ist für dich das Besondere daran?
Es war ja eine sehr besondere Zeit, in der das Album entstanden ist. Ich bin das diesmal irgendwie komplett anders angegangen. Also nicht so, wie man es sonst macht: Man schreibt zuhause die Texte, die Musik und dann geht man ins Studio und fängt an, es mit einem:r Produzent:in zu produzieren. Das ging ja alles während Corona nicht. Das war irgendwie schwierig und man wusste ja auch nicht, ob man es darf. Am Anfang der Pandemie habe ich dann erstmal gar nichts gemacht. Ich wollte das Ganze zunächst einmal aufnehmen und schauen, was die Zeit so mit mir als sehr freiheitsliebenden Menschen macht. Dann hab ich das alles wie so ein Schwamm aufgesogen. Und man muss dazu sagen, dass ich direkt vor der Pandemie mein letztes Album releast habe. Das ist ja dann alles total ins Wasser gefallen. Ich konnte keine Konzerte und Festivals spielen, keine Tour machen. Das war eigentlich richtig, richtig traurig. Da war ich dann erstmal leer danach.

Aufgrund der ganzen Beschränkungen, die dann kamen, habe ich mir dann beigebracht, wie man produziert. Ich habe mir die Programme und das nötige Equipment gekauft und zuhause in meiner kleinen Wohnung in Köln eine kleine Ecke freigeräumt und mir ein Studio aufgebaut. Und dann habe einfach aufs Blaue los produziert. Ich finde, das hört man schlussendlich auch dem Album an. Das ist wieder sehr auf die Anfänge bezogen und so gedacht, dass es sehr ähnlich zu der Musik ist, wie ich sie auch am Anfang meiner Karriere gemacht habe. Ich habe mich stark auf die Akustikgitarre bezogen und den Fokus komplett auf die Texte gelegt. Das war früher nicht so. Mittlerweile mache ich mir sehr viele Gedanken um den Text und was ich damit erzählen möchte. Alles in allem ist es dann eine kleine Zeitkapsel geworden. Ich habe in meinem Album zwei Jahre verpackt und fest verschlossen und kann sie bei Bedarf rausholen und Menschen zugänglich machen. Das ist dann schon eine tolle Sache am Ende. Ich bin sehr zufrieden, weil es sehr rund geworden ist.

Jules Ahoi

Wenn du dem Album drei Adjektive zuweisen müsstest …
Auf jeden Fall intim. Das Album ist sehr intim. Ich habe das Album teilweise im Schlafzimmer aufgenommen. Es ist alles an einem Ort entstanden, an dem ich wahnsinnig viel Zeit verbringe. Vor allem ist das Album auch privat und melancholisch. Das lässt sich ja auch schon im Titel wiederfinden. Also würde ich sagen: intim, privat und melancholisch.

Da lernt man wahrscheinlich auch noch einmal eine ganz andere Seite von dir kennen?
Ich hoffe! Ich bin jetzt natürlich auch sehr gespannt, wie das mit dem Konzert in Stuttgart ist. Damals im Keller Klub haben wir die alten Songs gespielt und auf die kann man schon gut tanzen. Und auf meinem neuen Album muss man einfach viel zuhören und sich auch darauf einlassen. Ich halte ja viel von Stuttgart und habe jetzt richtig Bock.

In deinen Texten gehst du viel auf eigene Erlebnisse und Erfahrungen ein. Inwiefern ist Musik für dich ein Kanal, um Dinge zu verarbeiten?
Musik ist sozusagen mein Abflussrohr. Es kommt manchmal einfach so aus mir herausgesprudelt. Manchmal aber auch gar nicht. Manchmal ist in meinem Kopf ein Knoten. Das sind dann so Zeiten, in denen ich vieles sammele. Man kann sich das dann vorstellen wie bei Frederik, der Feldmaus, die die Sonnenstrahlen einsammelt. So sehe ich mich dann immer. Das ist mein altes Ego oder fast schon wie ein Vorbild für mich. (lacht)

Neben der Musik bist du leidenschaftlicher Surfer und reist gerne. Wie lässt sich das mit dem Leben als Musiker vereinen?
Meine anderen Leidenschaften sind während der Pandemie leider ein bisschen hinten angestellt worden. Zu meinen Leidenschaften zählt es auf jeden Fall nicht, daheim rumzuhängen.(lacht) Da musste ich mich schon einschränken. Jetzt fühlt es sich aber gerade richtig gut an, wieder Konzerte zu spielen. Das hat mir schon krass gefehlt.

Im Sommer hast du einige Konzerte gespielt und warst auch Gast bei ein paar Festivals.
Ja, voll, z. B. auf dem Dockville, dem größten Gig in unserer Bandgeschichte. Da hatte ich schon Angst. Es war schon beeindruckend, wie viele Menschen auf dem Konzert waren.

Zählt das zu deinen Highlights dieses Jahr?
Ja, die ganze Festival-Saison war ein einziges Highlight. Das ist dann schon ein krasser Moment, wenn man das erste Mal auf der Bühne seine neuen Songs vorstellt. An der Stelle dann auch das erste Mal wieder die Verbindung zwischen Künstler:in und Publikum zu sehen, ist schon ein krasses Gefühl. Man kann natürlich zuhause Musik produzieren und viele Songs schreiben, aber das ist ja dann auch nicht das, wofür man es macht. Man möchte ja im besten Fall jemanden erreichen und sehen, dass die eigene Musik etwas bewirkt und auch ankommt. Ich möchte Musik nicht so inflationär benutzen. Wenn ich etwas sage, möchte ich etwas Vernünftiges sagen.

Wenn du die nächste Zeit malen könntest, wo wärst du dann gerne als Künstler – an welchem Punkt würdest du gerne stehen?
Erst einmal möchte ich die Tour zu Ende spielen. Wir haben ja echt noch einige Shows vor uns. Hier in Stuttgart ist es jetzt die dritte Show, die wir spielen. Das heißt, dass jetzt noch 21 Shows kommen. Weiter plane ich gerade noch gar nicht. Wenn wir das alles geschafft und alle Besucher:innen glücklich gemacht haben, bin ich mega happy. Wir fahren ja bei dieser Tour auch das erste Mal nach UK. Dort Musik zu machen, ist schon irgendwie krass. UK ist schon das Mothership von unserer Art von Musik, also Indie und Rock. Da bin ich sehr gespannt, wie das dort ankommt oder ob wir dort mit Tomaten beschmissen werden. (lacht)

Ja klar, man ist ja schon irgendwie gespannt, wie sich die Fanbase vielleicht unterscheidet und wie die Fans dort reagieren.
Genau, und vor allem, ob ein englischsprachiges Land eine deutsche Band braucht, die englisch singt.

Jules Ahoi

Welchen Rat gibst du deinem jüngeren Ich?
Ich habe mir immer vorgenommen, wenn ich alt und runzelig bin, große Ohren habe und auf meinem Schaukelstuhl sitze und dort vor mich hin pfeife, dass ich dann nichts bereuen möchte. Ich glaube, daran würde ich irgendwie zugrunde gehen, wenn ich mir denke „Sch***, das hätte ich irgendwie anders machen müssen, da hätte ich irgendwie anders abbiegen sollen“. Deshalb entscheide ich einfach viel aus dem Bauch und aus dem Herzen. Ich glaube, wenn man einen Weg für sich findet und auf sich selbst, auf seine innere Stimme hört, dann liegt man meistens ziemlich richtig. Deshalb würde ich das einfach nochmal so machen, wie bisher. Außer die Pandemie, die brauch’ ich nicht nochmal. Obwohl ich sagen muss, dass die Welt und auch die Musikbranche so ein kleines Durchatmen auch gut gebraucht hat. Gerade solche Gedanken, wie z. B. sich Gedanken über die Frauenquote auf Festivals zu machen. Viele Menschen haben einfach angefangen, Dinge zu hinterfragen und zu schauen, ob wir eigentlich noch auf dem richtigen Weg sind.

Mit wem würdest du denn gerne einmal zusammenarbeiten und warum?
Ich schließe eine Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen überhaupt nicht aus. Wenn jemand Bock hat, soll er sich gerne bei mir melden. Ich bin da echt für vieles offen. Ich liebe einfach Musik und ich mache auch genremäßig gar keine Abstriche.

Du hattest ja auch schon Abstecher in den Punk oder in den HipHop.
Ja, genau. Ich mag es einfach, wenn Menschen Musik machen. Ich habe gerade daran gedacht, dass mir letzte Woche jemand geschrieben hat, ob ich mit ihm Melodic Metal machen möchte. Das war funny und ich habe mir erstmal Demos schicken lassen.

Welcher deiner Songs ist dein persönlicher Favorit?
Wenn ich mir jetzt einen Song von mir aussuchen müsste, dann ist das „Faith” von meiner neuen Platte. Generell spiele ich die komplette Platte von vorne bis hinten richtig gerne live. Es ist richtig schön für mich, das zu spielen. Das macht einfach richtig Spaß, ist aber auch sehr anspruchsvoll, gerade mit der Gitarre. „Faith” ist aber ein Song, den ich für meine Mama geschrieben habe. Sie ist eine krasse Frau, die mir so viel beigebracht hat. Sie war auch beim Tourstart mit dabei. Wir sind einfach super zusammengewachsen in der letzten Zeit und mir ist erst dann aufgefallen, wie stark meine Mama ist. Und deshalb spiele ich den Song richtig gerne, weil ich dann an sie denken muss und das ist schon ziemlich cool.

Jules Ahoi

Info: Jules Ahoi

Das Album „Melancholic Dreamwave“ ist am 3. Juni 2022 erschienen
julesahoi.xyz
instagram.com/julesahoimusic

 
Fotos: © Sofia Wilhelm

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