Interview

Melodiesinfonie im Interview:
“Gäbe es kein Internet, würde ich wahrscheinlich immer noch für mich selbst in meinem Zimmer Musik machen.”

„Spread Love and Positive Vibes Every Day“ steht in seiner Soundcloud-Bio – und letztere kommen bei Produzent und Labelinhaber Kevin Wettstein alias Melodiesinfonie definitiv rüber. Lässig groovige, aber auch frickelnd melodische Sounds inspiriert von HipHop, Funk und Jazz liefern einen entspannten Soundtrack, der sanft vor sich hinplätschert, aber dennoch alles andere als belanglos klingt. Sein aktuelles Album „Be Thankful“ hat Melodiesinfonie bei Melting Pot Music veröffentlicht, zuvor hat er seine Tracks auch schon bei Soulection platziert und Youtube-Phänomen Majestic Casual hat den Mittzwanziger ebenfalls für sich entdeckt und seinen Song „Srolang“ auf seinem Kanal geteilt. Neben seinem Output als Produzent, dem eigenen Label und ausgesuchten Kollaborationen hat der junge Schweizer noch einen ganz normalen Tagesjob, in dem er mit Kindern arbeitet – eben gechillt, aber weit weg von langweilig!

In welcher Kulisse würdest du jemandem empfehlen, „Be Thankful“ zu hören?
Gute Frage! Der Grundvibe des gesamten Albums ist etwas ruhiger und wärmer. Ich finde es perfekt, ein Album auf dem Bett zu hören, wo man einfach liegt und sich ausbreiten kann und den Klängen lauscht, aber auch irgendwo draußen in der Natur, im Wald. Das sind die zwei Bereiche, wo denke ich die Klänge gut zur Geltung kommen.

Wie kam es zum Titel des Albums?
Ich war 2015 ein halbes Jahr in Kambodscha und habe in einer Community mit Einheimischen gelebt, mit neun Leuten in einem Raum, und habe dort Wasserfilter gebaut und mit Kindern gearbeitet. Der Titel resultiert daraus, „Be Thankful“. Das war eine Zeit, die mich wirklich geprägt hat.

Als Produzent bleibt man oft eher etwas im Hintergrund – gefällt dir diese Rolle?
Eigentlich ja, weil ich denke, dass die Musik im Vordergrund stehen sollte. Aber es stimmt eben auch, dass ich ganz Mensch bin und die andere Seite von dem, was ich mache, ja auch irgendwie dazugehört und die Musik ergänzt. Irgendwie ist es nie dazu gekommen, dass mich jemand gefragt hat, was ich sonst mache.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Melting Pot Music?
Vor etwa zwei Jahren wurde ich von Melting Pot angeschrieben, ob ich Lust hätte, mal einen Track für eine Compilation beizusteuern und so ist der Kontakt entstanden. Dann haben wir angefangen hin und her zu schreiben und jetzt haben wir das Endprodukt vorliegen.

Wie kam der Kontakt mit Soulection damals zustande?
Das ging auch übers Internet. Gäbe es kein Internet, würde ich wahrscheinlich immer noch für mich selbst in meinem Zimmer Musik machen. Ich war früher in Kontakt mit dem Labelchef von Soulection und so sind dann diese Kollaborationen entstanden – man muss aber auch fairerweise sagen, dass Soulection damals noch viel kleiner war, das war ja 2012.

Wie kommt es bei dir generell zur Zusammenarbeit mit verschiedenen Labels/Kollektiven?
Da ich so ein bisschen ein – im Schweizerdeutsch sagen wir „Vögeli“ – also ein Vogel bin, der immer irgendwie rumflattern muss, sehe ich es nicht ein, mich zu binden. Ich mag es frei zu sein und je nachdem wie oder wo es passt kann etwas Neues entstehen. Ich denke, wenn ich irgendwo fest drin wäre, würde mich das einschränken.

Gibt es eine Plattform, auf der du auf jeden Fall gerne noch veröffentlichen würdest?
Jakarta Records! Und so ein Bubentraum von mir wäre Stones Throw Records. Vielleicht werde ich einfach mal was hinschicken …

Wie sieht es mit der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern aus?
Ich schätze es generell sehr, mit anderen Künstlern zu arbeiten, vor allem mit Menschen, die auch eine gewisse Offenheit und Freiheit haben zu experimentieren und etwas Neues auszuprobieren. Ich bin zur Zeit an zwei Alben dran mit Sängern und Rappern und finde diese Zusammenarbeit eine schöne Ergänzung zu meiner Musik. Zusammen Musik zu machen und etwas Neues entstehen zu lassen finde ich etwas ganz Schönes.

Um wen geht es da genau?
Das eine Projekt ist mit einem Rapper aus Philadelphia, der heißt Montell Fish. Da haben wir bereits vier, fünf Tracks fertig und streben so etwa zehn, zwölf an. Was mega schön ist bei dieser Zusammenarbeit ist, ist dass wir ein par Mal geskypet haben und innerhalb von wenigen Wochen diese Tracks gemacht haben. Normalerweise kenne ich es eher, dass es wenn man mit Rappern arbeitet lange dauert, bis man mal etwas zurückgeschickt bekommt. Daher bin ich jetzt sehr zufrieden, mit dem was da entsteht. Das andere Projekt ist mit einem Rapper aus der Schweiz, der auch singt. Da sind wir noch relativ am Anfang, haben aber schon viele Sachen skizziert.

Wie sieht die typische Entstehungsgeschichte eines Songs bei dir aus?
Ich bin nicht der Typ, der eine Idee im Kopf hat, sich dann an die Arbeit macht und die umsetzt. Ich setz mich hin und mach einfach drauf los. Da ich Schlagzeuger bin, beginne ich meistens mit den Drums. Wenn so der Grundgroove steht, kann ich alles darum herum bauen. Dann kommen meistens erst Chords oder Bass und dann erstelle ich eine Art Gerüst, das ich danach wieder aufbreche – und so entsteht die ganze Strukturdramaturgie. Das ist eigentlich meine typische Vorgehensweise, aber ich probiere in letzter Zeit auch, mal etwas anders zu beginnen.

Ist „analog“ Musik machen für dich als Schlagzeuger noch interessant?
Am liebsten würde ich echte Drums aufnehmen, aber das ist einfach mega aufwendig und diese Möglichkeit habe ich leider nicht. Als Alternative habe ich jetzt so ein Roland SP – das ist ein Sampler mit Pads, die man mit den Schlagzeugstöcken spielt. Da hat man diese Anschlagdynamik, mit der man richtig Grooves machen kann und mit dem habe ich jetzt begonnen, gewisse Sachen einzuspielen, um das ganze ein bisschen lebendiger zu machen. Meine Musik entwickelt sich laufend weiter, wird tiefer und intensiver und das macht mir mega Spaß.

Wovon lässt du dich inspirieren?
Der Moment und die Mood wenn ich Musik mache sind meine Inspiration. Meistens passieren mir beim Aufnehmen irgendwelche kleinen Malheure, ich drücke irgendwo eine falsche Taste oder sowas, und das ist dann aber genau das Element, das den Song ausmacht. Und meine Arbeit gibt mir sehr viel Inspiration: Ich arbeite mit Kindern und mache am liebsten am Abend Musik. Das ist für mich mein Ausgleich, wo ich all diese Erlebnisse und Eindrücke verarbeiten kann.

Brauchst du diesen Ausgleich für dich oder wäre es auch eine Option, irgendwann nur noch Musik zu machen?
Diese Frage hab ich mir schon sehr oft gestellt, weil ich glaube, ich bin immer noch am selben Punkt wie vor Jahren: Eigentlich möchte ich die Musik nebenbei machen. Wenn ich hauptberuflich bzw. hauptsächlich Musik machen würde, wäre das so ein „ich muss jetzt Musik machen, weil ich muss davon leben und ich muss ein Produkt haben“. Und jetzt kann ich mich hinsetzen und ich habe einfach die Möglichkeit dazu. Es ist schon so, dass ich nicht immer in der Mood bin, manchmal komme ich nach Hause und hab gar keine Lust, Musik zu machen – und dann habe ich auch diesen Druck nicht. Ich denke durch diese Unbeschwertheit kann auch ganz viel entstehen. Andererseits wünsche ich mir manchmal mehr Zeit, wo ich ein bisschen produktiver sein kann. Ich glaube, man muss irgendwie eine Mitte finden. Momentan arbeite ich temporär, also habe ich in etwa 50:50 Zeit für Musik und Arbeit und das finde ich einen schönen Ausgleich.

Was machst du, wenn du einen Tag frei hast?
Momentan gönne ich mir ein Frühstück, trinke Tee und genieße es, mir Zeit zu nehmen. Danach geh ich schwimmen – das mach ich jetzt seit drei Wochen, das lässt mich vital sein. Wenn ich zuhause bin vor allem Musik hören, Musik machen, lesen oder einfach raus gehen und spazieren.

Was hast du in de letzten Tagen an Musik gehört?
Grover Washington Jr. und von Slum Village hör ich mir immer mal wieder die Platten an – ich zieh immer mal wieder eine aus dem Regal, je nachdem, was gerade die Mood ist.

Das heißt, du hast noch eine richtige Plattensammlung?
Ich hab’s mal versucht zu zählen, es sind vielleicht etwa 800 Stück. Ich höre sehr viel Musik und tatsächlich am liebsten Platten. Ich hab aufgehört, digital Sachen zu hören oder auch runterzuladen, weil es einfach irgendwie dem Produkt nicht gerecht wird. Man hört irgendwas und direkt schon wieder das nächste. Bei den Platten nimmt man das raus, hört sich das Album an und das macht mir einfach Bock, jeden Tag etwas anderes zu hören. Ich bin mit Schallplatten aufgewachsen, seit ich drei bin hatte ich einen Plattenspieler im Zimmer und es war für mich immer ein Traum, selbst mal eine Schallplatte rauszubringen. Nach wie vor ist es für mich eine Riesen Sache, dass das einfach passiert ist.

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Du kommst aus der Schweiz, was hältst du musikalisch von deinen Landsleuten? Gibt es da jemanden, den du feierst?
Letzte Woche habe ich Support für Pablo Nouvelle gemacht, der auch ein Produzent aus der Schweiz ist, und seine Live-Show fand ich richtig, richtig gut – ich hab lange nicht mehr sowas Gutes gesehen und bin sehr begeistert, ihn feiere ich sehr. Außerdem habe ich ja ein Label mit meinem besten Kumpel Maloon TheBoom und in unserer „Boyoom Connective“-Family haben wir aktuell um die zehn Beatmaker, die alle mega talentiert sind und eine sehr große Liebe zur Musik aufzeigen – die könnte ich eigentlich alle erwähnen, die sind alle echt top. Interessanterweise hatte die Schweiz ja immer ein etwas ambivalentes Verhältnis zu ihrer eigenen Musikszene und es war oft so, dass Schweizer keine Schweizer Künstler hören, weil da früher auch nicht so viel Qualität gekommen ist. Das hat sich aber in den letzten Jahren sehr gewandelt und es kommt jetzt so langsam, dass die Leute hier offen werden für Schweizer Künstler und das finde ich eine sehr schöne Entwicklung.

Du warst auch in Österreich und Deutschland auf Tour – unterscheidet sich das Publikum dort für dich?
Bei den Konzerten, die ich erlebt habe, konnten sich die Deutschen einfach gehen lassen und feiern und das ist leider in der Schweiz nicht immer möglich. Da kenne ich es oft von den Konzerten, dass die Leute so kritisch dastehen und das schon feiern, aber einfach irgendwie nicht loslassen können. Und das liebe ich in Deutschland – die Shows waren super schön, weil die Leute mit der Musik mitgegangen sind.

Wie würdest du jemand anderem beschreiben, was für Musik du machst?
Wow, das ist meine tägliche Schwierigkeit (lacht). Ich hatte mal eine mega gute Antwort, aber die hab ich leider vergessen. Ich kann es nochmal probieren: Es gibt kein einzelnes Wort, das ich dafür benutzen könnte, vielleicht eher … organische, hinkende, stolpernde Beats mit Jazz, Soul, HipHop und elektronischen-Einflüssen, die irgendwie so klingen, wie wenn man in eine frische Orange beißt – irgendwie sowas.

Deine Songs klingen ziemlich tiefenentspannt – bist du persönlich auch so gechillt oder regst du dich auch mal auf?
Tendenziell bin ich schon sehr gechillt. Ich kann der ruhige Typ sein, aber ich bin auch sehr extrovertiert. Es gibt schon auch Sachen, die mich aufregen. Am meisten stört mich die vorherrschende Oberflächlichkeit – nicht nur bezogen auf Musik, sondern ganz generell. Das sind einfach Gedanken, die ich mir mache, oder Beobachtungen, wo ich mir einfach denke: Wo geht der Mensch hin?

Wovon braucht die Welt mehr?
Mehr Nächstenliebe. Wirklich Nächstenliebe, das beinhaltet wirklich bedingungslose Akzeptanz und Toleranz.

Und von was weniger?
Weniger Oberflächlichkeit, weniger Hass und ich finde – auch wenn das jetzt ein bisschen widersprüchlich klingt – dass man sich zu oft über gewisse Dinge aufregt und sich so selbst Steine in den Weg legt und sich das Leben schwer macht. Man kann viel mehr durchs Leben fließen, anstatt sich selbst ein Bein zu stellen.

Famous last words?
Mit Dankbarkeit beginnt alles und mit Dankbarkeit möchte ich dieses Interview auch abschließen: Wenn man für die kleinen Dinge dankbar ist, gibt einem das auch wieder Kraft zu lieben und zu geben.

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„Be Thankful“ ist am 26. Februar 2016 erschienen

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Bilder: © Dylan Moore

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