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Hör bitte auf!

Die Politiker der alten Garde haben ein Problem. Sie verlieren den Kontakt zur Jugend und vergessen gleichzeitig, wie alt sie eigentlich selbst schon sind. Altersdemenz bedeutet aber nicht, dass man automatisch seine gute Kinderstube ablegen darf und früher war auch nicht alles besser, nur weil man selbst steinalt ist. Den Kampf mit dem Altwerden müssen die alten Herren nicht in aller Öffentlichkeit austragen – sie können auch einfach aufhören. Alles andere birgt Gefahren, von peinlich bis taktlos.

Mein Vater ist jetzt 59 und fängt langsam an, übers Aufhören nachzudenken. Einige Herren, die schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel haben, scheinen sich mit dieser Frage nur ungern auseinanderzusetzen. Besonders in der Politik, wo die Rente mit am häufigsten diskutiert wird, scheint niemand wirklich Lust auf die Rente zu haben. Die Vertreter der alten Garde sitzen auf ihren Stühlen und manchmal bin ich nicht sicher, ob sie dort sitzen, weil sie besonders gut für das Amt geeignet sind oder weil sie einfach nicht mehr aufstehen können. Kontaktaufnahme zu jüngeren Generationen erfolgt ausschließlich wenn die Enkelkinder über die Feiertage vorbeischauen. Oder der alte Christdemokrat trifft beim Deutschlandtag der Jungen Union aufs knabenhafte Volk, wobei ein 20-jähriger Jungunionler im Kopf wahrscheinlich eher denkt wie ein junggebliebener 40-Jähriger.

Wer gerne frei von der Leber spricht, es aber nicht schafft, den Stammtischjargon im Wirtshaus zu lassen, der sollte seine Reden vielleicht besser dort schwingen, wo die Leber ohnehin mehr gefragt ist als das Gehirn. Nicht aber bei der Veranstaltung eines Unternehmensverbands in Hamburg. Da muss man nur eins und eins zusammenzählen – as we say in German – und kann sich ausrechnen, welches Vokabular unser EU-Kommissar Zuhause benutzt. Der „Oetti ist halt der Oetti“, wird vielleicht manch einer sagen, unbeeindruckt von dem erneuten Ausfall des ehemaligen Ministerpräsidenten. Für mich ist der „Oetti“ ein peinlicher Mensch und sollte einfach nicht in die Nähe eines Mikrofons gelassen werden. „Dieser Fall ist klar, lieber Herr Kommissar, auch wenn sie anderer Meinung sind“, um es mit den Worten Falcos zu sagen.

Da hilft es auch nicht, wenn der gute Günther zwischendurch einen Trend erkennt und gegen die AfD schießt. „Wenn die komische Petry meine Frau wäre, würde ich mich heute Nacht noch erschießen.“, hat er da verlauten lassen. Dass die „komische Petry“ auch noch ein Wörtchen mitzureden hätte, bevor sie sich mit dem Günther das Bett teilen würde, das versteht der alte Patriarch nicht. Wieso kannst du nicht gegen die AfD schießen, ohne eine Macho-Phrase auszuspucken, die vermutlich schon dein Vater benutzt hat? Gut gemeint, weit gefehlt. Vielleicht ist es mit 63 auch langsam an der Zeit, aufzuhören.

Wenn ein Bundespräsident mindestens 40 Jahre alt sein muss, sollte es dann nicht auch so etwas wie ein Höchstalter für Amtsträger geben? Auch bei Fritz Kuhn (61) ist mir schon aufgefallen, dass er den Anschluss zur jüngeren Generation weitestgehend verloren haben muss. 2012, bei einer Veranstaltung während des Wahlkampfs, hatte der Grüne die Gelegenheit, vor lauter hippen Agenturmenschen von seinen Perspektiven für die Stadt zu erzählen. Geladen hatte jangled nerves aus Cannstatt. Und was macht der Fritz? Ihm fällt nichts Besseres ein, als die Theo als über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Partymeile in den höchsten Tönen zu loben. Die Theo! Die Abneigung gegenüber dieser Straße ist der kleinste gemeinsame Nenner all derer, die mit einem Glas Weißwein in der Hand auf einer Vernissage auf der Suche nach einem Eisbrecher sind.

Das war peinlich. Aber was hätte er mache sollen? Sich den Rat von Winfried Kretschmanns Redenschreiber Michael Kienzle einholen? Lieber nicht, denn auch er fällt in der Öffentlichkeit vermehrt durch früher-war-alles-besser-/heute-ist-alles-ganz-schlimm-Aussagen auf. Egal ob grün oder schwarz, das Alter bringt nicht nur Weisheit mit sich. Die Elfenbeintürme wachsen – bei dem einen sinkt das Verständnis für die Jugend, beim anderen das Gefühl für politische Korrektheit. Was kann man also machen? Ein Pflicht-re.flect-Abo für alle (Stuttgarter) Politiker über 50? Jedem Amtsträger über 60 einen Tandempartner unter 30 zur Verfügung stellen?

In der Familie eines Freundes gab es früher eine Regel, die die inzwischen erwachsenen Kinder bis heute nutzen. Wenn die drei Geschwister zankten und rauften gab es einen Code, bei dem der Streithahn, der über einem lag, aufhören musste. Mit einem einfachen „Hör bitte auf!“ konnte eine Rauferei beendet werden, an das Gesetz hielten sich alle. Vielleicht sollten auch Politiker diesen Satz öfter zu hören bekommen. Oder zumindest in dem Bewusstsein leben, dass dieser Satz fallen könnte und den Ernst der Lager erkennen. Oder sie machen es wie mein Vater und fangen rechtzeitig damit an, übers Aufhören nachzudenken.

Peter Buchholtz: Als freier Journalist schreibt er über verschiedenste Dinge – von der Stuttgarter Zeitung bis zu seinem eigenen Satire-Magazin „Stuttgarter Bote“ – und diesmal haben wir die Ehre.

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