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PLATTFORM #81:
„JE SUIS SCHWIERIGES UMFELD“
VON THORSTEN WEH

PLattform 81

THORSTEN WEH: Geschäftsführer bei pulsmacher, Blogger bei Kessel.TV, DJ bei Territory Sound und heimlicher Fußballfan.

Ich glaube, meine Freunde denken, dass ich mich weniger für Fußball interessiere, als es tatsächlich der Fall ist. Man kommt ja auch nicht drum rum, wenn man irgendein soziales Umfeld hat, zumindest eine grundsätzliche Meinung zum Thema Fußball zu haben. Wenn die lautet „Ich interessier mich überhaupt nicht für Fußball“, kann es sein, dass man in einer gepflegten Small-Talk-Konversation in der Gruppe länger verstohlen aufs Handy spickelnd rumsteht als einem lieb ist und der Instagram-Stream hergibt.

Mein Trick: Wie bei jedem anderen Small-Talk-Thema (Autos, Wetter, Promis) reicht auch bei Fußball ein erschreckend geringes Maß an Grundwissen, um locker im Gesprächsfluss mitschwimmen zu können. Deshalb pflege ich, mit meinem Desinteresse eher hinter dem Berg zu halten und die fachkundigen Fußballmeinungen anderer mit „oh ja“, „kannsch vergessen“, „Alter!“ oder einem unbestimmten Kopfnicken zu kommentieren. Das funktioniert und fällt niemandem auf, probiert’s mal aus!

Die Wahrheit ist aber: Ich interessiere mich gar nicht nicht für Fußball, mich interessieren einfach andere Aspekte dieses allzu deutschen Volkssports. Denn wenn man ehrlich ist, und ich weiß, dass ich damit keinen Beliebtheitspreis auf der Fanmeile gewinne: Fußball an sich ist ziemlich langweilig. Für die stolze Spieldauer von zweimal 45 Minuten und die Menge an Spielern auf dem Platz passiert erschreckend wenig, da viel zu selten ein Tor fällt muss man sich an Pässen, Fouls und gescheiterten Angriffsversuchen abarbeiten. Ich glaube langweiliger ist tatsächlich nur Baseball – da stehen noch mehr Menschen auf dem Platz, es dauert noch länger und es passiert noch seltener was. Mit dem Unterschied, dass die Zuschauer beim Baseball nicht mal Interesse heucheln – wer schon mal in den USA bei einem Spiel in der Schlange bei den Hot Dogs stand kann das bestätigen.

Mein besonderes Interesse an Fußball im Allgemeinen und am VfB Stuttgart im Besonderen ist wahrscheinlich vor vielen Jahren erblüht, als aus bestimmten privaten Gründen plötzlich ein Nationaltorwart und deutscher Meister bei meinem kleinen Sohn im Kinderzimmer auf dem Boden saß und ich googlen musste, wer das ist. Ich fand die Menschentraube vor dem Le Meridien spannend, die heimlichen Handyaufnahmen im Restaurant und die Geschichten aus dem VfB-Internat.

Ich war mit Kollege Geiger nicht nur einmal bei den Kickers im Gazi Stadion (als er dafür noch leidensfähig genug war), da fand ich die Stadionwurst interessant, dass man die Anweisungen des Trainers von der Tribüne aus hören konnte und dass in der Halbzeit ein Subaru-Banner ausgerollt wurde.

Ich bin auch immer wieder beim VfB im Stadion, da finde ich die Cannstatter Kurve mit den Choreografien und den Trommlern und den Bannern interessant, die Sprüche auf der Haupttribüne („Steh auf du Wichser“) und dass der junge Security-Mitarbeiter, der unseren Teil der Tribüne beobachten sollte, wahrscheinlich eine sehr lange Nacht hatte und sich nur mit sichtlich großer Mühe auf seinem Stuhl wach halten konnte.

Ich gucke sogar bei jedem VfB-Spiel in den Ticker der Sport1-App und gleiche auch immer den Livestand der Tabelle ab, da finde ich die Reaktionszeit des Tickerschreibers interessant, dass man bei einer seltenen Führung des VfB auf jeden Fall mit dem folgenden Rückstand rechnen kann und dass es im Tabellenkeller ganz schön dunkel ist.

Ich lese auch fleißig alle Tweets meiner Filterblase vor, während und nach einem VfB-Spiel, da finde ich den im Vergleich zur Haupttribüne sachlichen und sehr selbstironischen Ton interessant, die Leidensfähigkeit selbst sehr eingefleischter Fans und die standhafte Weigerung des Vereins, sich in irgendeiner öffentlichen Form gegen rechts zu stellen.

Seit kurzem folgt mir Vertikalpass, das Sprachrohr des rot-weißen Intellektualismus (ja das Wort gibt es) auf Twitter, und ich habe den leisen Verdacht, dass die sympathischen Macher meine besondere Leidenschaft für Fußball besser erkannt haben als meine Freunde.

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