Plattform

Plattform #92: Auf dem Weg zum Nachtmanager von Nils Runge

Als ich vor vielen Jahren das erste Mal vom sogenannten „Nachtbürgermeister“ gehört habe, war ich direkt von solch einer Stellenbezeichnung begeistert. Noch grün hinter den Ohren dachte ich: „Der Name: Bürgermeister einer Stadt mit Fokus auf die Nacht; die Stellenbeschreibung: nachts unterwegs sein und dafür bezahlt werden – das klingt nach einem Traumjob!“

Seitdem sind viele Tage und Nächte vergangen, in denen ich studiert, gefeiert, gearbeitet und mich ehrenamtlich für das Nachtleben in Stuttgart eingesetzt habe. Es ist viel Zeit vergangen, in der ich mich bewusst mit einer solchen Stelle auseinandergesetzt habe und mir immer klarer geworden ist, dass sie viel mehr bedeutet, als nur nachts unterwegs zu sein. Sich für das Nachtleben einzusetzen ist Leidenschaft, aber eben auch Arbeit, teilweise sehr harte Arbeit.

Das habe ich bereits mit unserem Verein Waldtraut Lichter, bei unseren Partys, auf unserem Festivalfloor oder bei zahlreichen Kooperationen mit unterschiedlichsten Akteur:innen wie der Staatsgalerie, dem CSD Stuttgart, FF*GZ oder dem „Bunter Beton“-Festival gelernt – als Ehrenamt, um Stuttgart bunter zu machen und um Alternativen zu bieten. Das Interesse am gesamten Konstrukt des Nachtlebens sank trotz der manchmal nervenaufreibenden und schwerfälligen Arbeit aber nicht, sondern wuchs im Gegenteil weiter! Ich wollte mehr darüber erfahren, ich wollte dazulernen. Die logische Konsequenz? Mich mit anderen Akteur:innen austauschen: Konferenzen und Vorträge besuchen. In der Freizeit, als Ehrenamt.

Bisher hatte ich als Projektleitung hauptberuflich auf Veranstaltungen gearbeitet und dabei die großartige Chance, ein Einzelunternehmen auf seinem Weg zur GmbH mit einer Außenstelle in London zu begleiten. Dabei habe ich als Teil eines tollen Teams viel gelernt, aber in einem anderen Kontext und auf einer anderen Art als bei Veranstaltungen. Mir hat bei dieser Arbeit die Identifikation gefehlt und vielleicht auch etwas das Politische. Daraufhin folgte die für mich logische Konsequenz: Weiterbildung. Einen Master studieren. Mit Anfang 30 als alter Hase – zumindest im Vergleich zu den meisten Kommiliton:innen.

Während des Studiums habe ich mich trotzdem auf Stuttgarts Nachtleben konzentriert. Es war 2020 – man brauchte Alternativkonzepte. Inzwischen kannte ich viele Akteur:innen in Stuttgart und erfuhr so, dass es ein Streamingangebot mit Crowdfunding für die Clubs geben sollte. Fand und finde ich super. Finde ich wichtig. Auch in solchen Zeiten sollte man ein Zeichen an die Gäste und Künstler:innen senden. Stuttgart nach außen präsentieren: United We Stream.

Aus diesem Projekt entstand 2021 die IG Clubkultur Baden-Württemberg – es wurde politischer. Kurz vor Ende meines Studiums wurde die bereits weit im Voraus vom Club Kollektiv Stuttgart und dem Pop-Büro Region Stuttgart geplante Stelle des Nachtmanagers in Stuttgart ausgeschrieben. Hallo, Traumjob! Was für ein perfektes Timing. Mit Aussicht auf das baldige Studierende machte ich mich an die Bewerbung. Die erste spannende Frage: Wer ist noch mit dabei? Ich erfuhr über Freunde den einen oder anderen Namen. Es wurde spannend. Die Bewerber:innen wurden veröffentlicht. Die Konkurrenz war groß. Jetzt begann der für mich bis dato unbekannte Teil. Das erste Mal in meinem Leben eine halbwegs professionelle Social-Media-Kampagne – theoretisch mal gehört, praktisch nie ausgeführt. Zum Glück gibt es Freunde und Freundinnen! Es bildete sich ein Team, das mir zu jeder Tag- und Nachtzeit unterstützend und ausführend zur Seite stand – teilweise mein engster und liebster Freundeskreis und meine Freundin, teilweise fast unbekannte Gesichter. Ein unglaublicher Support. Dann begann das Öffentlichkeitsvoting. Anspannung. Stop des Votings. Nachdem sich die Mehrheit der Kandidat:innen zusammen mit dem Pop-Büro dafür ausgesprochen hatte: Neustart.

Jetzt ging der ungemütliche Teil weiter: Anrufe mit der Bitte zum Voting, hunderte Nachrichten verschicken. Viel positives Feedback und Unterstützung. Aber auch im Mittelpunkt stehen, immer wieder über die Stelle reden. Überzeugen. Vertrauen schaffen. Ich mag den Mittelpunkt nur bedingt, zumindest, so lange ich mein Können nicht unter Beweis stellen kann … Außerdem auch negatives Feedback. Und wie wir halt so sind: Negatives geht einem doch nah. Zum Glück gibt es Freunde und Freundinnen, die aufbauen und helfen. Dann – Platz 3. Ich konnte es nicht fassen. Dankbarkeit!

Next Step: Die Präsentation für die Jury vorbereiten. Meine Aufregung war riesengroß. Das Gute: Allen zehn Kandiat:innen ging es ähnlich. Das Schöne: Die Stimmung war respektvoll und harmonisch. Auf der Bühne dann in Kameras schauen anstatt in Gesichter. Wie schräg ist das denn, kein Fixpunkt, keine Reaktion, keine Mimik. Nur eine grüne und eine rote Lampe. Absurd. Ab nach Hause. Hoffen. Mehr hoffen. 23.15 Uhr: Ich bin eine Runde weiter! Sekt! Viel Sekt!

Noch ist es aber nicht geschafft. Bewerbungsgespräch: Viele Augen und viele spannende Fragen zum Nachtleben und den damit verbunden Konzepten und Aufgaben. Es vergehen Tage, die sich wie Wochen anfühlen. Es dauert sehr lange. Zu lange? Haben sie jemand anderem zugesagt? Ein Wechselbad der Gefühle. Plötzlich kommt die Zusage. Bitte was? Ich habe es geschafft. Ich bin sprachlos. Ich bin unglaublich glücklich. Aber es darf noch nicht kommuniziert werden, die zweite Stelle ist noch nicht final besetzt. Schweigen. Den Freund:innen, die mich unterstützt haben, etwas vorenthalten. Ein paar Tage. Ich verstehe es, es geht um die gemeinsame Stelle. Fühlt sich trotzdem nicht gut an. Aber der Schweiß hat sich gelohnt. Aus dem Traum wird ein Job. Beginn: Jetzt.

Eine wichtige Frage bleibt offen: Wer hat die zweite Stelle? Funktioniert die gemeinsame Arbeit? Eine Koordinierungsstelle, zwei getrennte Bewerbungsverfahren. Zwei unterschiedliche Arbeitgeber. Eine gemeinsame Aufgabe. Eine gemeinsame Kommunikation, intern wie extern.

Die Stellenbesetzung wird veröffentlicht. Was folgt, ist eine Diversitätsdebatte. Bei zwei Männern verständlich. Klar, ich bin ein Mann und werde mich nie in zu 100 % in eine Frau einfühlen können. Ich hoffe aber, sensibel genug zu sein. Ich werde mir die weibliche Sicht und die Expertise von Vereinen wie Wildwasser zu Herzen nehmen und natürlich um Rat fragen. Wenn nicht genug, haut mir auf die Finger. Oder besser: Schreibt mir!

Dann Neuigkeiten: Rücktritt der zweiten Stelle. Eine wichtige Frage bleibt offen … Die Verantwortung und der Respekt vor der Stelle wachsen jedoch. Jetzt gilt es, die unterschiedlichsten Akteur:innen kennenzulernen und mit einzubeziehen, um möglichst viel zu bewegen. Ein Konzept zu erstellen, das kurzfristig, gleichermaßen aber auch langfristig und nachhaltig ist. Alles läuft wieder parallel: Freiflächen, Waggons, Einführung, Presse, Netzwerk. Viel! Viel Neues. Also Ärmel hoch und los. Die Arbeit hat gerade erst begonnen.

Nils Runge

Text © Nils Runge

Nachtmanager beim Pop-Büro Region Stuttgart (Ein Angebot der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH & der Stuttgarter Jugendhaus GmbH)

Das koennte dir gefallen…

Keine Kommentare

Kommentar schreiben