Statements

Stuttgart in der Schwebe:
Statements Betroffener in systemrelevanten Berufen

Stuttgart Schwebe systemrelevante Berufe Corona

Nicht nur in unserem Privatleben müssen wir aktuell einige Veränderungen hinnehmen, auch die Arbeitswelt entwickelt sich aufgrund der Einschränkungen weiter. Während die einen im Homeoffice sitzen, werden die anderen dringend an ihrem Arbeitsplatz gebraucht: In der aktuellen Situation zeigt sich, welche Jobs für das Gemeinwohl tatsächlich systemrelevant sind. Wir haben mit Betroffenen über ihre Einschätzung der Lage, persönliche Wünsche und Arten, mit der Situation umzugehen, gesprochen:

 

Stephan Löffel, Allgemeinmediziner in Gäufelden

„Wir sind bezüglich der Ausbreitung des Virus von einer konstanten Unsicherheit begleitet. Es gibt immer wieder neue Empfehlungen seitens des Robert-Koch-Instituts und der kassenärztlichen Vereinigung. Die Versorgung ist leider recht knapp, im Moment müssen wir selbst aktiv werden, um an Schutzkleidung heran zu kommen. In der Praxis läuft es dafür ruhiger als gewohnt, da sich die Patienten an die Empfehlungen halten und unter anderem auch Angst haben, sich zu infizieren. Mittlerweile hat sich alles eingespielt und wir sind recht gut aufgestellt, Ich hätte mir aber gewünscht, besser auf so eine Situation vorbereitet zu sein. In einer Studie aus dem Jahr 2013 wurde genau so ein Szenario durchgespielt: eine Pandemie durch einen Erreger aus der Familie der Coronaviren. Leider wurde die Studie wohl nicht ausreichend beachtet, was ja aber auch irgendwo verständlich ist, wenn bei Politikern neben so einem Weltuntergangs-Szenario gerade hundert andere Dinge auf dem Tisch liegen, die akut und relevant sind.

Jetzt gilt es eben zu improvisieren. Dabei hilft es unheimlich, dass wir alle in der Praxis an einem Strang ziehen. Ich bin meinen MitarbeiterInnen wahnsinnig dankbar für die Arbeit und ihr Engagement. Wir bekommen im Moment noch mehr Lob und auch Wertschätzung für unsere Arbeit, als vor der Krise. Das freut mich sehr, letztendlich machen wir aber alle nur unseren Job. Der Applaus sollte auch denen gelten, die sich gerade am Rande ihrer Existenz befinden, gezwungenermaßen zuhause bleiben müssen und ihre Rechnungen nicht bezahlen können.“

 

Franziska Sander, Rettungsassistentin in Stuttgart

„Im Arbeitsalltag bemerke ich die Veränderung vor allem daran, dass wir jetzt zusätzlich Masken tragen und auch die Patienten einen Schutz aufsetzen müssen. Die meisten gehen damit zum Glück ganz entspannt um und wirken trotz der obligatorischen Fragen nach Kontakt zu Infizierten oder Aufenthalten in Risikogebieten nicht genervt. Ich merke allerdings bei mir selbst schon, dass man aktuell größere Hemmungen hat, einfach irgendwo reinzulaufen. Da ich täglich auf verschiedene Menschen treffe, habe ich mir jetzt auch privat eine Stoffbedeckung für den Nase-Mund-Bereich geholt, um als potenzieller Überträger zum Beispiel beim Einkaufen andere zu schützen.

Insgesamt habe ich das Gefühl, dass die Leute sehr verständnisvoll sind und unsere Arbeit auch wertschätzen. Ich würde mir aber wünschen, dass es nicht nur bei der medialen Aufmerksamkeit bleibt, sondern die Menschen auch verstehen, welche Auswirkungen Kürzungen im Gesundheitswesen haben und wer diese Politik macht. Außerdem sollte öffentliche Daseinsvorsorge nicht marktwirtschaftlichen Regeln unterworfen sein: Schutzausrüstung muss vorgehalten werden, damit sich im Ernstfall gerade in diesem Bereich alle schützen können!“

 

Malte Wagner, Physiotherapeut und Osteopath in Stuttgart

„Wir hatten in den letzten Wochen einen massiven Einbruch der Behandlungen. Es haben
bestimmt 70 Prozent der Patienten abgesagt, neue Patienten kommen nur vereinzelt. Viele wissen nicht genau, was sie tun bzw. wie sie sich verhalten sollen. Aber ich liebe meinen Job und gehe nach wie vor jeden Tag gerne in meine Praxis. Mit meiner Arbeit möchte ich den Menschen zeigen, wie sie es in schwierigen Situationen schaffen, Zuversicht und Kraft aus ihrem Inneren zu schöpfen. Mir ist es wichtig, trotz der Schwierigkeiten ruhig und zuversichtlich zu bleiben. Außerdem hilft mir die Aussicht darauf, dass ich in den nächsten Tagen Papa werde.

Gerade jetzt ist es keine Option, den Kopf in den Sand zu stecken. Es gibt Chancen auf dem Markt, die man nur entdecken und ergreifen muss: Wir werden zum Beispiel einen Teil der Therapie digitalisieren – Physiotherapie 4.0 quasi. Die digitale Sprechstunde wird die physische Therapie zwar nicht ersetzen, aber ich denke trotzdem, dass sie in Zukunft zu einem festen Bestandteil meiner Arbeit wird. Das hat auch Vorteile: Für die Patienten fallen lange Anfahrtswege weg und ich kann sie auch beraten, wenn sie beruflich oder privat auf Reisen sind oder aus gesundheitlichen Gründen nicht von zuhause weg können.“

 

Friederike Gerstenberg, Psychologin, systemische Therapeutin und Supervisorin in Esslingen am Neckar

„Die Situation hat sich kontinuierlich verschärft, was sich auch auf die Termine mit meinen KlientInnen ausgewirkt hat. Inzwischen habe ich komplett auf digitale und telefonische Beratung umgestellt. Für meine KlientInnen sind die Auswirkungen je nach Lebenssituation verschieden: Für die älteren ist es schwer, mit der Einsamkeit umzugehen, für Eltern mit kleinen Kindern – dazu zähle ich auch uns mit zwei Kindern im Alter von vier und sieben Jahren – ist die Betreuung zuhause und das Homeschooling wiederum eine Herausforderung, bei der Konflikte vorprogrammiert sind.

Mich ärgert die Situation meiner schwangeren Klientinnen: Sie müssen durch die Corona-Verordnungen beispielsweise die Vorsorgeuntersuchungen in den gynäkologischen Praxen alleine durchstehen, was sich mit einer entsprechenden psychologische Vorgeschichte extrem belastend auf sie selbst, aber natürlich auch auf das Kind auswirkt. Daher engagiere ich mich ehrenamtlich für die Elterninitiative Mother Hood e.V., die sich auch in diesen Zeiten für das Wohlergehen von Schwangeren einsetzt.

Außerdem ist es wichtig, diesen Ausnahmezustand genau als solchen zu bezeichnen. Wenn vieles verboten ist, dürfen wir uns selbst Erlaubnisse geben. Man muss sich keine zu hohen Ziele für diese Zeit setzen, um auch so „gut genug“ zu sein. Mir persönlich hilft es, eine gewisse Alltagsstruktur zu haben und mit meiner Familie zu besprechen, wer was wann machen sollte oder muss. Als Ausgleich soll es aber auch schöne Dinge im Wochenplan geben: Sei es Osterkekse zu backen oder Kürbisse zu ziehen, ein Vogelhäuschen zu bauen oder sich ein schönes Buch zu kaufen.“

 

Anouschka Pilz, Sozialpädagogin in einer Wohngruppe für Mädchen und junge Frauen

„Mit dem Inkrafttreten der Maßnahmen hieß es für uns: Dienstpläne umstellen und spontan dafür sorgen, den „Laden“ am Laufen zu halten. Unsere Freizeit für die Osterferien wurde abgesagt, es finden keine Termine oder Besprechungen mehr statt, Hilfepläne stehen still, Renovierungen sind verschoben. Heute haben wir beschlossen beim Kochen ab sofort Handschuhe und Gesichtsmasken zu tragen … das gemeinsame Abendessen wollen wir uns aber nicht nehmen lassen! Ich bin dankbar, dass ich normal weiterarbeiten darf und so bei mir ein Teil Normalität erhalten bleibt.

Für Mädchen im Teenager-Alter, die zum Teil auch psychisch vorbelastet sind und aus schwierigen familiären Verhältnissen kommen, ist es allerdings besonders schwierig mit Struktur- und/oder Kontrollverlust umzugehen. Leider mussten wir außerdem feststellen, dass Digitalisierung, vor allem in Form von guter Ausstattung mit Hard- und Software, ein äußerst vernachlässigtes Thema im sozialen Bereich ist. Gar keine oder eine nur schlechte Internetverbindung sorgt für Benachteiligung unserer Bewohnerinnen in Bezug auf Home-Schooling und Unwissen über Plattformen für Video- und Telefonkonferenzen bringt unsere Kommunikationsmöglichkeiten an Grenzen.

Diese Krise könnte aber auch eine Chance für ein Umdenken bieten. Alle reden von Heldinnen und Helden des Alltags, die jetzt plötzlich ins Scheinwerferlicht gerückt werden und vorher scheinbar unsichtbar waren. Ich hoffe, dass auch die Leute gehört werden, die den Shutdown nicht als „Entschleunigung“ begreifen konnten, sondern womöglich ihren Job verloren haben oder in sonstige Krisen gestürzt wurden.“

 

Christina Papadopoulou, Betreiberin des „Pappas Gourmetpalace“-Standes in der Stuttgarter Markthalle

„Wir begegnen der Situation gerade mit gemischten Gefühlen, weil man nicht weiß, in welche Richtung es geht und vieles ungewiss ist. Unseren Stand in der Markthalle bleibt aber wie gewohnt geöffnet. Neben einem deutlichen Umsatzrückgang, weil die Leute sparsamer sind, merkt man vor allem, dass keine Touristen mehr in der Stadt unterwegs sind – die haben vorher gut die Hälfte der Besucher ausgemacht. Dafür hat man jetzt mehr Zeit, auf individuelle Kundenwünsche einzugehen. Wir bieten zum Beispiel auch telefonische Beratung an (0711-240615) und liefern nach Hause.

Leider wirken die Menschen oft gestresst und verängstigt. Ohne das verharmlosen zu wollen, würde ich mir da etwas mehr Gelassenheit wünschen. Gerade jetzt bietet die Markthalle ein tolles Flair: Es gibt genug Platz, Desinfektionsmittel steht bereit und das Schlendern durch die bunten Gänge ist auch gut fürs Gemüt. Ich würde mir wünschen, dass bald alles wieder normal wird und die Leute die Zeit bis dahin nutzen, um vielleicht auch mal ein ausgefallenes Rezept auszuprobieren oder sich bei uns inspirieren zu lassen.“

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