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PLATTFORM #89:
„How to Marie Kondō my Friendslist”

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Ein Gutes hatte der Shutdown: Unsere Buden sind so schön wie nie zuvor. Je länger wir in unseren eigenen vier Wänden herumgehangen sind und Staub von A nach B gewirbelt haben, umso klarer wurde uns, dass wir eigentlich zu viele Staubfänger besitzen. Dinge, die wir irgendwann schick oder sinnvoll fanden, die aber keins von beidem sind, und die wir trotzdem aufgehoben haben, weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und ein faules obendrein.

Wenn einen die Sinnlosigkeit der Besitztümer nun aber nicht mehr nur am Wochenende umgibt, sondern 24/7 um Aufmerksamkeit buhlt, während Kollege Maier-Fröhlich (stummgeschaltet) zum vierten Mal auf Zoom versucht, seinen Pitch ohne Unterbrechungen durchzuführen, dann bekommt die Sache eine ganz neue Dringlichkeit. Also sind wir es endlich angegangen, haben aufgeräumt, sortiert, entrümpelt… Marie Kondō macht‘s vor, wir machen‘s nach. Und fühlen uns großartig in unserem neuen Heim.

Aber was ist mit unserem sozialen Gerümpel? Mit all‘ den Social-Media-Freunden, deren Posts im Feed so weit unten angezeigt werden, dass wir sie unter normalen Umständen nicht mehr wahrnehmen und bei denen wir uns nun, da sie mehr Zeit haben zu schreiben und wir mehr Zeit haben zu lesen, wünschen, dass sie wieder in den Untiefen des Feeds verschwinden würden, aus dem sie gekrochen sind. Dumme Bilder, stupide Memes, Altherrenwitze und das Ganze nicht selten gepaart mit Geschreibsel über „die da oben“ und Links zu fadenscheinigen Verschwörungstheorien. Warum nochmal ist man mit denen befreundet? Ach so, Abi ‚09, da war was. Denkt man die ganze Feng-Shui-, Positive-Vibes-, Marie-Kondō -Geschichte zuende, dann ist es aber nur konsequent auch sein digitales Zuhause auszumisten. Und wann wäre der richtige Zeitpunkt, wenn nicht jetzt, da sich beim Thema Corona die Spreu vom Weizen trennt?

Nach Marie Kondō ist der erste Schritt das Sortieren: von belang- und bedeutungslosen Dingen (Klamotten) zu den wichtigen (Erinnerungsstücke). Von Letzterem kann man sich aufgrund der emotionalen Bindung nämlich am schwersten trennen. Auf die Facebook-Freunde umgemünzt heißt das: von „entfernten Bekannten“ zu „besten Freunden und Familie“. Angefangen bei Abi-`09-Jonas und endend bei Tante Mareike stellt sich bei jedem Einzelnen die entscheidende Marie-Kondō -Frage, ob man beim Gedanken an ihn oder sie ein Glücksgefühl verspürt: „Does this person spark joy in me?“ Nein? Aussortieren. Dasselbe gilt für Gruppenchats: Machen sie mich glücklich? Nein? Verlassen. Und auch für Accounts und Gruppen: Lösen sie Glücksgefühle bei mir aus, bringen sie mich zum Lachen? Nein? Entfolgen.

Zugegeben: Klingt irgendwie mehr nach Konfliktpotenzial als nach Joy. Aber Marie Kondo wäre nicht Marie Kondō, wenn sie nicht wüsste, wie man aus negativen, positive Vibes macht: Bei allem, was man aussortiert, bedankt man sich für vergangenen Jahre, für die gemeinsame Zeit. Effekt: Man lernt jeden Einzelnen bewusst wertzuschätzen und der Abschied ist nicht negativ behaftet, so die Theorie. Zu guter Letzt bekommt alles und jeder, der noch übrig bleibt, einen festen Platz. Im Fall von Socken und Co. bedeutet das eigene Schubladen und Kisten, übertragen auf unsere Friendslist übernimmt das meistens schon die App für uns und sortiert unsere Chats und unseren Feed, je nach Häufigkeit des Kontakts und seiner Relevanz, von oben nach unten. Wer richtig strebermäßig unterwegs ist, nutzt die Kategorisierungsfunktion der Social-Media-Apps und teilt seine Kontakte in „Freunde“, „Bekannte“, „Kollegen“ und „enge Freunde“ ein. So hat man im Griff, welche Inhalte man mit wem teilt und wessen Posts einem präferiert angezeigt werden.

Bleibt nur noch die Frage, ob eine Methode zum Aussortieren von Heimgegenständen auch auf soziale Kontakte übertragbar ist und ob es Tante Mareike weniger sauer aufstößt, wenn man sich bei ihr bedankt, bevor man sie nach ihrem zehnten Xavier-Naidoo-ist-so-toll-endlich-sagt-es-mal-einer-Post in den Wind schießt. Wahrscheinlich nicht.
Der letzte Hinweis soll deswegen nicht ungesagt bleiben: Jede Social-Media-App hat auch eine Blockierfunktion von deren Einsatz der Blockierte nichts mitbekommt.

Eure Karie Mondo

Illustration © ANNA RUZA (Grafikerin & Illustratorin)
Nach dem Diplom in Kunsttherapie und einigen Jahren als Therapeutin genießt sie aktuell das Leben mit Mann und Mäusen vom schönen Stuttgarter Westen aus.

Text © KARIE MONDO
Gibt gerne ihre Tipps weiter, möchte selbst aber lieber anonym bleiben. Schließlich weiß man nie, wer sich aus den Untiefen der virtuellen Kontaktliste sonst direkt zu einem ungefragten Kommentar berufen fühlt!

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