Interview Musik

WORTWECHSEL:
CHRIS X DEXTER X EMILIO X TESS X YOTA

Statt klassischem Interview lassen wir die Protagonisten bei unserem Wortwechsel selbst die Fragen stellen. Für unser großes HipHop-Special haben wir Rapper und Produzent Dexter, Kolchose-Mitbegründer Emilio, Chris vom Freund & Kupferstecher sowie die Stuttgarter DJs Tess und Yota am großen Tisch im FuK-Studio versammelt, um über die aktuelle Lage in Rap-Stuttgart zu tratschen.

Dexter: kommt denn überhaupt noch so viel HipHop aus Stuttgart? Oder nur noch aus Bietigheim?

Yota: Ich glaube, es gibt allgemein im Süden viele talentierte Leute, die Initiativen ergreifen und was starten und so das Game vorantreiben.

D: Ich kenne ein paar Produzenten, die krass sind, z .B. Lunchbag. Der spielt viele Instrumente, macht geile House-Nummern, produziert aktuelles und altes Zeug und immer wenn ich ihn sehe, ist er sehr zurückhalten und veröffentlicht leider auch nicht viel. Die müssten sich mal organisieren. Voll oft gibt es talentierte Leute, aber die müssten sich halt zusammentun, um was rauszubringen und zu pushen. Leute, die was machen, von denen gibt’s viele. Ich mein’, wenn ich jetzt zum Beispiel das Kupferstecher nehme: Die nutzen ihre Plattform, um Dinge ins Rollen zu bringen.

C: Grade gibt’s im HipHop-Bereich aber einfach wenig, von dem ich denke: Da kann was gehen, da bewegt sich was.

Y: Es ist halt auch ein bisschen problematisch, weil so viele Leute was teilen können. Es ist eine ganz andere Herangehensweise, als wenn Leute vor zehn Jahren Musik gemacht haben. Stuttgart hat Fanta 4, Massive Töne usw. rausgebracht und ich habe bis heute mega Respekt vor den Leuten und was die gemacht haben. Mittlerweile sind aber einfach andere Zeiten angebrochen.

D: Absolut, früher blieb einem nichts anderes übrig, als sich zu organisieren. Heute kannst du einfach einen Song machen, bei Spotify reinstellen und wenn du Glück hast, geht’s ab. Du brauchst kein Label und nichts, man hat gar kein Risiko mehr. Platten pressen, CDs machen, man produziert keine großen Ausgaben mehr. Jeder, der einen Laptop hat macht sich ’nen Splice-Account und schon hat er einen Beat. Es ist alles viel einfacher geworden. Dadurch wird vielleicht auch der Standort uninteressanter. Ich kenne das ja noch von früher, da hatte man einen, der sich ein bisschen mit Marketing oder BWL auskannte und einen, der Talent hatte und dann noch vier talentfreie Rapper, die aber mitgezogen wurden. Da musste man einfach ein bisschen mehr investieren und alles war auch noch weniger populär. Die ganze Musik an sich war ein Nischen-Ding.

Emilio: Früher hat man ein Studio gebraucht. Die Leute, die das zur Verfügung hatten, waren über- schaubar und viele kreative Menschen gab es in dem Bereich auch nicht. Wir haben uns damals einfach gefunden. Es ist aber immer noch einfacher, in einem Pulk von Leuten Erfolg zu haben. Nehmen wir mal die 102 Boyz oder BHZ, das macht ja schon mehr her, als ein einzelner Typ, der auf der Bühne steht. Man ist größer und sichtbarer.

C: Aber seht ihr das schon auch alle so, dass seit RIN – wenn man den jetzt mal zu Stuttgart dazu zählen möchte – keiner von euch was Spannendes auf dem Schirm hat, was Rap-Musik angeht?

Tess: Nimo und Dardan

C: Ja, stimmt. Die wurden aber glaube ich auch ungefähr zu RINs Zeit größer. Aber es ist auch normal, dass das alles wellenförmig verläuft. Man hat ja immer ein bisschen Abstand zwischen den erfolgreichen Leuten. Damals: Kolchose, Fanta 4, Freundeskreis, Afrob, dann kam lange nichts, dann kamen die Orsons, wieder ’ne Weile nichts, Shindy vielleicht noch und dann Cro und dann RIN. Es gibt ja immer wieder große Leute und in der Zwischenzeit passiert eben nicht so viel. Bausa gibt’s auch noch. So im Untergrund bewegt sich zwar schon was, aber im Club und beim Diggen merke ich: Es ist einen Ticken schwieriger als noch vor zwei Jahren.

T: Vor zwei, drei Jahren ist halt die Trap-Szene entstanden und hat mega floriert und dieser ganze neue Vibe hat die Leute einfach motiviert rauszugehen und das mitzufühlen und mitzuerleben. Mittlerweile ist das alles wieder mainstreamiger geworden.

D: Früher war eine HipHop-Veranstaltung immer noch so ein bisschen ein Nerd-Ding und auch eher ein Typen-Ding, wo sich wenige Frauen rumtrieben. Mittlerweile hat sich das zu einer Tanzkultur weiterentwickelt – wenn man Moshen als Tanzen zählt. Es ist nicht mehr nur Arm hoch und Kopfnicken, sondern eher wie ein Punk-Konzert und auch voll das Happening. Hauptsache, der Bass knallt rein und man kann jemanden umrempeln. Damit können mehr Leute etwas anfangen, weil es eben so energetisch ist. Das ist ja ein wiederkehrendes Phänomen, dass was Neues kommt, populär wird und irgendwann macht es gefühlt jeder zweite.

C: Und dann verliert es seinen Reiz. Das ist auch das, was wir im Club merken und programmatisch versuchen weiterzuentwickeln, aber man braucht halt auch die Protagonisten und Künstler dazu. Der Sound, der vor zweieinhalb Jahren groß wurde, der läuft jetzt halt überall und Rap und HipHop ist gefühlt noch einmal drei Stufen größer und kommerzieller geworden. Und da wird auch wieder etwas nachkommen. Ich digge die ganze Zeit, aber kann noch nichts sehen, was mich auf Clubebene abholt. Gerade ist einfach eine undefinierte Phase, würde ich sagen.

D: Auch wenn die jüngere Generation es nicht bewusst wahrnimmt, aber hier funktionieren so viele Dinge gleichzeitig. Es ist ja gar nicht so, dass keiner mehr Boom-Bap oder so hören will. Wenn ich am Hans-im-Glück-Brunnen unterwegs bin, läuft auch immer noch „Reimemonster“ und die Leute rasten voll drauf aus. Das war seinerzeit schon ein krasser Hit aber ich denk mir so: „Wow, immer noch?“ Das zeigt einfach, dass auch die ganz jungen diese HipHop-Tradition aus Stuttgart noch mitbekommen hat. Man sucht aber trotzdem immer nach neuem Input und nach Leuten, die zuerst was Neues machen bzw. zuerst was aus Amerika adaptieren. Wenn du heute mit Beats reich werden willst, musst du halt Lo-fi Zeug machen – aber das ist ein rotes Tuch für mich.

C: Dadurch, dass wir durch die Größe des Clubs recht limitiert sind, merken wir auch, dass die Gagen extrem gestiegen sind. Teilweise hab ich Leute angefragt, die nicht länger als 20 Minuten spielen können, aber 1000 Euro verlangen. Wenn du früher ein Set für 20 Minuten hattest, hast du im Jugendhaus gespielt und warst weit davon entfernt zu sagen, das kostet jetzt 1000 Euro. Genauso läuft es bei den DJs. Die haben ihren ersten Gig und das erste was die fragen ist: „Was geht mit Gage?“

D: Ja, es geht insgesamt mehr um Kohle. Die merken ja auch, wenn sie in ihrem Set einen bestimmten Beat platzieren, kann man damit schon ordentlich Cash machen. Um noch mal diese Lo-fi-Szene anzusprechen: Ich kenne so ein paar Pappenheimer, die sagen, dass man damit richtig viel Geld machen kann und laden sich dann ein paar Stanni-Drums runter, wo die Höhen abgeschnitten sind und machen es einfach genau wie alle anderen aus dem Bereich, um sich in diesen Playlisten platzieren zu können. Es ist schon irgendwo legitim, aber es wäre nicht meine Motivation, um Musik zu machen.

T: Kannst du qualitativ unterscheiden, was wie produziert wurde?

D: Nee. Teilweise machen Leute, die seit zwei Monaten Beats machen, viel krassere Sachen als andere, weil die Sounds und alles was zur Verfügung steht schon so abgemischt sind und die nur noch die Sachen zusammen schustern müssen – fertig ist das Ding. Bis du vor 20 Jahren mal einen Beat aus einer Mpc raus kopiert hast, das war richtige Arbeit!

E: Wenn halt alles aus der Konserve kommt, klingt das nach nichts Neuem. Es ist aber eben auch schwer, das Rad neu zu erfinden.

D: Du kriegst im Internet aber auch so krass viel Input von überall her und du kannst fast gar nicht mehr selber auf irgendwas kommen. Ob man will oder nicht, man saugt die Eindrücke auf.

Y: Wie wars denn bei euch damals? Heute geht alles mit Mausklick, wie habt ihr das gemacht?

E: Du bist in ein Studio gekommen und hast jemanden arbeiten sehen. Wasi von den Massiven Tönen war damals zum Beispiel meine Inspiration und hat mir viele Tipps und Tricks beim Arbeiten mit Sampler und Drum Machine gegeben. Heute gibt es Online-Tutorials …

D: Früher hast du als DJ den Gästen noch gezeigt, was der geile Scheiß ist, heute kennen die meisten das Zeug schon vor dir.

E: Letztes Jahr hat RIN irgendwas releast und ich hab in der Schräglage aufgelegt. Dann kam so ein Typ und hat sich diesen Song gewünscht und ich so: hab ich nicht, kenn ich nicht. Dann kam der nächste und hat sich das gleiche gewünscht und ich hab’ später erst gecheckt, dass RIN einen neuen Track rausgehauen hat.

Y: Ich komme ursprünglich aus Dresden. Als ich nach Stuttgart gekommen bin, hab’ ich auch ge- merkt, dass HipHop eine ganz andere Energie hat als dort. Die Leute nehmen das hier einfach super gut an und haben Bock darauf.

T: Ich hatte das Gefühl sonst auch nirgends. Nicht mal in Berlin. Stuttgart hat, was HipHop angeht, einfach einen ganz eigenen Vibe. Es ist vielfältiger, weiter vorne.

 

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