Wortwechsel

Wortwechsel:
Popkultur in Stuttgart

Wortwechsel Popkultur in Stuttgart

Was kann Stuttgart in Sachen Popkultur? Gerade in Hinsicht auf das kommende About Pop Festival am 22. Juli und der vergangenen Eröffnung des Kreativ-Spaces Hotel Central, spielt diese Frage eine immer größere Rolle im Kessel. Für unseren Wortwechsel haben sich Arne Hübner aus dem Kulturzentrum Merlin, Amelie Köppl aus dem Pop-Büro und Mizi Lee von der Band „Horizontaler Gentransfer” vor dem Auftritt der Band im Stadtpalais zusammengesetzt und über die lokale Popkultur unterhalten.

Amelie: Mizi, du bist ja die einzige hier, die selbst Musik macht. Was ist denn für dich Popkultur als Künstlerin? Beziehungsweise, was bedeutet das für dich?

Mizi: Für mich bedeutet Popkultur in der Musik vor allem, dass man die Musik als Gesamtkunstwerk wahrnimmt. Bei Kunstwerken ist das ja auch so, dass diese meistens in Ausstellungen präsentiert werden, hinter denen viele Funktionen stehen wie beispielsweise Kurator:innen, Institutionen oder Ähnliches. Und was oft ignoriert wird, ist, dass genauso viele Funktionen und Bedenken auch in einem Album stecken. Gerade bei Musik in physischer Form muss man auf Dinge achten wie die Farbe des Mediums oder das Design auf dem Cover. Das macht so ein Musikstück für mich zu einem sehr kompakten Kunstformat, was ich persönlich auch viel schöner finde als gewöhnliche zeitgenössische Kunst.

Arne: Das ist schon genau der richtige Ansatz und auch mein Verständnis davon. Gerade eure Band „Horizontaler Gentransfer” ist ein Paradebeispiel dafür. Als ihr damals im Merlin gespielt habt, hattet ihr sämtliche Einflüsse und Formate der Popkultur mit eingebracht, gerade was euren Merch angeht. Da hattet ihr beispielsweise ein „Fanzine” oder auch ein Lyrik-Buch mit dabei. Und all das ist, wie du gerade auch schon gesagt hast, schon eine komprimierte Popkultur in sich selbst. Also, wenn das Gesamtkonzept innerhalb des Kunstwerks stimmig ist und man sich über die Musik hinaus auch nochmal Gedanken dazu macht.

Amelie: Ich finde es auch lustig, weil viele denken immer, Pop wäre ja immer das, was in den Charts läuft. Und eigentlich finde ich, ist es das ja gar nicht. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, aber ganz oft steckt in der Pop-Musik der Charts ja gar keine richtige Popkultur. Da schreibt halt irgendeiner einen Song, macht ein wenig Musik dazu und das wird dann einfach nur vermarktet. Also in den meisten, auch sehr populären Fällen, finde ich steckt einfach kein Gesamtkunstwerk dahinter, was das irgendwie spannend macht.

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Arne: Ich glaube, bei der Musik an der Spitze der Charts wurden auch irgendwie die Ecken und Kanten abgeschnitten. Und das ist ja eigentlich die Quintessenz davon, was am breitesten in der Gesellschaft funktioniert. Aber viel spannender ist doch eigentlich die Musik, an der die Ecken und Kanten noch dran sind, weil da Reibung entsteht und man dadurch letztendlich an einem Song hängenbleibt, eben weil er nicht sehr glatt ist. Für den Moment klingt das dann gut und funktioniert, aber durch das Glatte bleibt im Endeffekt nicht viel hängen und man vergisst einen Song schnell, nachdem man ihn drei Wochen durchgehend gestreamt hat. Wahrscheinlich nicht mal nach drei Wochen, sondern eher nach drei Stunden.

Amelie: Das hat ja dann auch keinen nachhaltigen Einfluss mehr. Ihr bei Horizontaler Gentransfer könntet ja auch noch aus dem, was ihr bereits macht, weiter wachsen. Also euch in eine Richtung orientieren oder in die andere. Ich habe euch tatsächlich noch nie live gesehen. Deswegen freue ich mich heute umso mehr.

Mizi: Ja, das stimmt. Aber mich würde auch sehr interessieren, was ihr zur Popkultur, besonders in Stuttgart, zu sagen habt?

Arne: Das ist schwierig, weil dann muss man ja zwangsläufig irgendwelche Vergleiche anstellen. Und ich finde es immer so ein bisschen müßig, die Städte und ihre Entwicklung miteinander zu vergleichen, weil es halt meistens einfach nicht funktioniert oder irgendwie auch hinfällig ist. Aber ich finde, eigentlich stehen wir nicht so schlecht da, und es gibt schon echt viele kleine Herde, die am Lodern sind und wo immer wieder spannende Projekte rauskommen. Das finde ich vor allem für die Größe der Stadt sehr gut. Natürlich könnte es an den ein oder anderen Stellen noch viel breiter und diverser sein und ich sehe auch den Bedarf, an einigen Stellen noch mal mehr was zu pushen. Also gerade in der Hinsicht, dass man weibliche Künstlerinnen dazu ermutigt, etwas zu machen, sodass nicht nur immer dieselben Typen irgendwo spielen. Aber ich finde eigentlich, dass es zumindest ein ganz spannendes Fundament in Stuttgart gibt.

Amelie: Das ist zwar weniger popkulturell als kulturell allgemein, aber was mich immer stört, ist, dass in Stuttgart von der Kulturmeile an der Konrad-Adenauer-Straße gesprochen wird. Für mich ist diese Straße überhaupt nicht kulturell wertvoll, da durch die große Straße auch keine Verbindung zwischen den einzelnen Gebäuden besteht. Ich finde, das Konzept ist nicht wirklich zu Ende gedacht.

Arne: Ja, wahrscheinlich, aber das ist auch so die infrastrukturelle Seite. In dem Bezug ist es auch wichtig zu erwähnen, dass gerade der kulturelle Raum in den letzten Jahren ein wenig vor die Hunde gegangen ist. Viele freie Clubs gibt es einfach nicht mehr und dadurch ist auch die Anzahl an Live-Spielstätten massiv zurückgegangen. Was die geboten haben, fällt jetzt alles auf geförderte Häuser wie das Merlin zurück. Es ist unser Auftrag, all das aufzufangen und bestmöglich am Leben zu halten, weil es für privat betriebene Clubs einfach ein viel zu großes Risiko darstellt, Bands dahinzustellen, die dann live spielen. Das ist alles nicht mehr so lukrativ.

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v. l. n. r Amelie Köppl, Arne Hübner, Mizi Lee

Amelie: Wie nimmst du das alles wahr, Mizi? Also gerade als Künstlerin in Stuttgart?

Mizi: Ich bin ja gerade sehr zufrieden, dass ich überhaupt die Chance habe, Musik zu machen, unabhängig von irgendeiner Venue. Vor allem freue ich mich darüber, in einer Band-Konstellation zu sein, wo alle gleichberechtigt sind und jede Person weiß, was sie zu tun hat. Deswegen bin ich einfach froh, wenn wir mal die Chance haben, irgendwo aufzutreten und kann ich mich eigentlich nicht beschweren kann. Vor allem haben wir zum Musizieren unser kleines Paradies am Killesberg und das ist irgendwie unsere ganz eigene Kulturmeile. Aber klar, ich fürchte mich auch irgendwo vorm Rückgang der Spielstätten. Ich persönlich schau’ mir zwar auch gerne Konzerte im Wizemann oder im Komma an, aber da fehlt mir irgendwie der Ort, an dem man auch einfach nur chillen kann. Gerade für Teenager sind solche „gemachten Orte” einfach sehr anstrengend, glaube ich. Leider verschwinden solche Austausch-Spaces immer mehr.

Arne: Ja, es braucht auf jeden Fall den Raum drumherum! Austausch ist in Hinsicht auf die Popkultur extrem wichtig und essenziell. Im Nachgang zum Konzert sollte die Möglichkeit bestehen, das Erlebte quasi Revue passieren zu lassen, sich darüber zu unterhalten und auszutauschen, vielleicht andere Bandmitglieder oder andere Bands noch zu treffen und so weiter. Das passiert halt einfach nicht, wenn man in einer Halle spielt, wo dann nach dem Konzert die Securities die Gitter aufstellen und einen rausdrängen, damit man schnell seine Jacke holt und nach Hause geht. Das heißt, der Punkt ist da völlig verloren und der ist, glaube ich, schon sehr, sehr wichtig. Weil das das Netzwerk ist, was die Stadt eigentlich zu bieten hat und wo der Austausch tatsächlich stattfindet.

Amelie: Kennt ihr dieses neue, ich nenne es mal „Areal” in Cannstatt in der Schwabenbräupassage? Bisher hat die Bahnhofstraße ja leider nicht sehr viel Kulturelles geboten und das ist jetzt schon sehr cool, da mehrere verschiedene Initiativen nun den Sunny High Club betreiben, wo es dann eben nicht nur Musik und DJ-Veranstaltungen gibt. Dort sind alle Räume offen und bieten den passenden Space zum Austausch. Ich finde das sehr wichtig, weil wenn man ins Kino geht, unterhält man sich danach ja auch über den Film, den man gerade gesehen hat.

Mizi: Ich finde Canstatt ist für mich persönlich auch die schönste Ecke in Stuttgart. Dort fühle ich mich als Musikerin mit Migrationshintergrund nicht so fremd wie hier in der Stadtmitte. Ich habe den Eindruck, dort ist alles viel weniger diskriminierend, während man hier eher einer Monokultur begegnet. Ich kann mir vorstellen, dass da auch durch diesen diversen Raum viel Kreatives entstehen kann. Durch die Diversität gibt es natürliche Spannungen, die auch ein bisschen rau sind und gleichzeitig gibt es den Raum, wo die Leute ein bisschen gemeinsam chillen können. Für mich ist das ein interessanter Ort, wo ich einfach sein möchte.

Arne: Das ist ein wenig wie mit der Spitze von den Charts, wenn wir den Bogen zurück spannen wollen: Hier ist halt das glatt Geschliffene mit am Start, während das Interessante nicht direkt greifbar ist.

Vielen Dank für diesen spannenden Austausch!

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