Kultur Wortwechsel

Wortwechsel Festival-Edition mit dem WET-Festival, Umsonst & Draußen und dem Wasser mit Geschmack

Wortwechsel Festival-Edition

Statt klassischem Interview stellen die Protagonist:innen bei unserem Wortwechsel selbst die Fragen. Frischer Wind in der Techno-Szene, Stress mit Anwohnenden, Awareness-Teams und Fördergelder: Im Wortwechsel mit Sebastian Simon und Raphael Dincsoy vom WET-Festival und aus dem Lehmann, Lisa Salwey vom Umsonst & Draußen und Matthias Kiwus von Wasser mit Geschmack geht’s um Festivals und alles, was dazu gehört:

Basti: Dieses Jahr gab es bei den Festivals vor allem ein Line-up für die jungen Leute. Da hat sich nach der Pandemie ziemlich viel gewandelt. Vorher waren das noch die Grand Seniors der elektronischen Szene, die gespielt haben. Davon sind nach der Pandemie leider viele runtergefallen. Da ist einfach ein Switch in der elektronischen Szene. Ob der gut oder schlecht ist, das werden wir noch sehen.

Rapha: Ich finde, aktuell funktioniert das ganz gut. Man merkt einfach, dass die junge Generation, die nach der Pandemie jetzt in den Clubs unterwegs ist, sich eher an Künstlern orientiert, die in ihrer Altersgruppe oder unwesentlich älter sind. Das macht’s für uns auch im Club viel spannender. Man kann viel mehr experimentieren und Künstler:innen einladen, die es vor der Pandemie noch gar nicht gab und die noch nicht so im Fokus standen, weil diese alte Garde sehr dominiert hat.

Matze: Wir beim Wasser mit Geschmack machen da die gleichen Erfahrungen. Wir haben es vor allem daran gemerkt, dass unsere Techno-Stage wahnsinnig überlaufen war. Die haben wir jetzt auch vergrößert. Vor 2019 waren so zwei Drittel, fast schon drei Viertel auf der Mainstage, wo eher Melodisches kommt. Dort wo die Grand Seniors, wie ihr sagt, wie Dominik Eulenberg etc. gefeiert wurden. Seither ist es mindestens 50/50. Auch organisatorisch mussten wir umplanen. Dass die Bar an der Techno-Stage die entsprechende Größe hat zum Beispiel.

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Basti: Was sagt der Vorverkauf?

Matze: Der Vorverkauf läuft sehr gut. Wir hatten nach der Pandemie ein bisschen Bammel, ob es so weiter geht. Aber wir haben eigentlich gar nichts gespürt. Wir werden auch dieses Jahr ausverkauft sein.

Lisa: Bei uns war das ziemlich gleich. Die letzten Jahre nach der Pandemie haben wir gar keine Probleme gehabt, den Platz vollzukriegen. Bei uns gibt’s aber, wie der Name Umsonst & Draußen schon sagt, keinen Vorverkauf oder so. Deshalb ist es immer ein bisschen unsicher, wie es läuft. Dieses Jahr ist es außerdem ein bisschen spannender: Wir waren bisher nämlich immer auf der Uni-Wiese in Vaihingen. Da dürfen wir jetzt aus Naturschutzgründen nicht mehr drauf und sind jetzt quasi am Festplatz in der Krehlstraße.

Basti: Darf ich fragen, warum? Ich mein, ich lieb‘ den Platz in Vaihingen. Ich wohne gleich nebendran. Es hat ja vorher keine Probleme gegeben, warum dann nach der Pandemie? Hat sich da etwas angesiedelt, was vorher nicht da war?

Lisa: Jein. Es ist dann aufgefallen, dass sich dort eben der dunkle Ameisenblauling, ein Schmetterling, angesiedelt hat. Der brütet da und dadurch, dass für unsere Nutzung die Wiese gemäht wird, zerstören wir das Brutgebiet des Schmetterlings. Das ist davor nicht aufgefallen. Aber es war natürlich super schwierig, einen anderen, geeigneten Platz in Stuttgart zu finden, der eben trotzdem mit ÖPNV erreichbar ist. Wir müssen dieses Jahr auch schauen, wie es mit den Anwohnenden läuft, wenn wir da laut Musik spielen.

Matze: Mit Naturschutz habt ihr beim WET im Freibad wahrscheinlich eher Glück? 

Basti: Nee, wir haben andere Probleme im Freibad. Es ist vom Aufwand her vor allem die Reinigung. Der Deal mit der Stadt ist eben, das Gelände sauber zu hinterlassen. Ein Beispiel: Egal, wie viele tausend Aschenbecher du ausgibst, du hast am Ende die Kippenstummel auf der Wiese und kannst die alle mit der Hand aufheben. Und hier ist es sehr wichtig, dass da nicht irgendwie noch Kippenstummel herumliegen, keine Glasscherben natürlich, keine illegalen Substanzen, denn am nächsten Tag kommen wieder Kinder rein.

Matze: Das ist bei uns eigentlich genau das gleiche, eben mit Naturschutz. Halb im Wald, halb auf so einem Wanderparkplatz. Wir machen auch die berühmte Kette und heben jeden Kippenstummel und jede Glasscherbe auf. Teilweise aus dem Techno-Floor ausgebuddelt, weil es da rein getrampelt wurde.

Basti: Ich verstehe auch Naturschutz und Anwohner-Bedenken und alles Mögliche. Aber gleichzeitig muss ich auch sagen, wir haben in Stuttgart einfach nicht viele geile, zugängliche Plätze. Wir haben keine verfallenen Lagerhallen, wo man schnell mal ‘ne Produktion hinstellen kann, die cool ist. Wir haben halt so die 0815-Teile, der Wasen draußen oder die Schotterplätze, wo man drauf darf. Aber das hat halt keinen Flair, muss man ehrlich sagen. Gehst du ein Stückchen weiter raus, bist du dann halt für ÖPNV-Anbindung einfach schlechter aufgestellt.

Lisa: Ja, ich stimme dir zu. Wir haben relativ gute Unterstützung bekommen. Ich war sehr positiv überrascht. Bei der Suche nach dem Platz war viel Bereitschaft da. Aber wie du schon sagst, wenn man einen Platz mit Atmosphäre will, ist die Auswahl recht klein. Und dann brauchst du für so ein Festival ja auch noch eine bestimmte Größe, da kommt dann einfach relativ wenig in Frage. Ich glaube aber schon, dass da das Bewusstsein da ist, dass Kultur nicht nur ein Weindorf sein kann, sondern dass da viel mehr da sein muss. Es braucht für unterschiedliche Interessen und auch für verschiedene Geldbeutel ein Angebot.

Basti: Aber man sollte zumindest einfach mal anfangen. Auch zum Thema Rücksicht auf Anwohner-Bedenken. Ich finde, wenn man in einer Großstadt wohnt, muss man eben damit rechnen, dass es bis 22 Uhr manchmal ein bisschen lauter ist. Und wenn man das nicht möchte, dann zieh weg. Wir haben ja auch Peripherie, da passiert nichts, da kann man hinziehen. Aber man kann halt nicht auf der einen Seite sagen, man will in Stuttgart-Mitte wohnen und gleichzeitig hätte man es gern leise.

Matze: Das WET ging bis 22 Uhr? 

Basti: Genau, bis 22 Uhr. Und dann hatten Leute auch noch die Möglichkeit, so Auslauf-Musik zu machen. So ein bisschen Hintergrundbeschallung, dass die Leute nicht sofort abhauen und ein paar tausend Leute gleichzeitig auf die Bahn springen. Aber ich glaube, das wird auch immer so bleiben. Bis 22 safe und alles was nach 22 und 0 kommt, bist du in einem anderen Bereich. Da wird‘s schon schwierig. Da kannst du eigentlich die Uhr stellen, bis dann die Polizei kommt.

Matze: Offiziell haben wir bis 1 Uhr, Toleranz ist halb zwei. Wir verhandeln auch jedes Mal mit der Stadt, ob wir nicht vielleicht ‘ne Stunde länger machen können.

Basti: 1 Uhr ist aber schon gut!

Matze: Ja genau, also 1 Uhr ist das absolute Limit, glaube ich, dass die Stadt so verkraftet. Und die Anwohner sind zwar alle eingeladen, aber wie du sagst: Es gibt immer den einen oder anderen, der dem Festival nicht ganz wohlgesonnen ist.

Basti: Normalerweise ist es nur der eine. Immer die gleiche Nummer und die ruft tausendmal am Tag an.

Matze: Ich hab auch mal gehört, dass manche Festivals die Anwohner sogar extra in den Urlaub schicken. Glaube die Fusion oder so.

Basti: In Dachswald haben wir das damals auch gemacht. Da gab’s einen Anwohner, da haben wir dann irgendwann gesagt: Weißt du was, du gehst einfach in Urlaub jetzt. Das ist manchmal sinnvoller, bevor die permanent anrufen. Ich will noch etwas sagen: Ich finde, Förderungen gehören zu Festen wie dem Umsonst & Draußen und nicht zu Festen wie dem WET-Festival oder Wasser mit Geschmack. Insgesamt ist diese „Förderwut“, die in der Stadt ausgebrochen ist, nämlich fatal für uns alle. Große Prozente der Förderungen kommen dann bei Menschen an, die sich das Geld einfach in die Tasche stecken und das fehlt dann bei Festivals, die eben kostenlosen Eintritt haben oder unentgeltlich arbeiten. Da bin ich froh, wenn da irgendwann mal ein Riegel vorgeschoben wird.

Matze: Trotzdem sind aber auch viele am Strugglen. Auch große wie „Rock am Ring“, die erstmals nicht ausverkauft waren.

Basti: Dann bietest du eben einfach ein Produkt an, das heute nicht mehr zeitgemäß ist. Entweder du bekommst das hin, dass sich dein Produkt irgendwie verändert – dann haben wir halt bald „Rave am Ring“ oder so. Aber wenn wir das jetzt zuschütten mit Geld und am Leben erhalten, finde das irgendwie nicht zielführend. Wenn wir wollen, dass wir eine aktive und auch zielführende Musiklandschaft haben, dann ist das kontraproduktiv, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint.

Lisa: Oder man könnte Förderungen mit sinnvollen Ansätzen verknüpfen. Gerade bei „Rock am Ring“ zum Beispiel. Dass man sagt, ja es gibt Fördergelder, aber damit ein diverses Line-up gefördert wird.

Basti: Genau das haben sie aber schon oft gemacht. Ich finde, sie sollten das Geld weniger an die Leute verteilen, die das Festival machen, sondern vielleicht lieber direkt an die Künstler geben. Ich glaube, das könnte eine sinnvolle Förderung sein und dann hätten Leute, die ein diverses Programm bieten, bessere Möglichkeiten, sich zu präsentieren, ein besseres Video zu drehen zum Beispiel und bessere Produktionen zu fahren.

Lisa: Spannender Einblick auf jeden Fall! Wir sind ja quasi ein gemeinnütziger Verein, der das organisiert und da sind die Fördermöglichkeiten noch mal anders. Nicht wirklich besser anders, aber eben auch vom Angebot her anders. Wir bekommen Förderungen vom Kulturamt und hatten letztes Jahr durch das „Neustart Kultur“-Programm noch mal eine zusätzliche Förderung. Aber wir merken jetzt gerade auch dieses Jahr, mit dem neuen Platz und einem neuen Sicherheitskonzept … das sind halt noch mal ganz andere Kosten. Da müssen wir dieses Jahr echt schauen, dass wir noch mehr Gelder herkriegen. Wir müssen auch Trinken- und Essenspreise etwas anheben, weil es genau das ist, was unser Festival letztendliche refinanziert. Aber wir wollen eben auch ein familienfreundliches Festival sein, sodass wenn eine Familie mit zwei Kindern kommt und einmal Essen und Getränke kauft, es nicht gleich ein Loch in den Geldbeutel heizt. Und da wär’s natürlich cool, irgendwie fördergeldtechnisch mehr Spielraum zu haben und das nicht auf die Besuchenden abwälzen zu müssen.

Matze: Förderungen und so haben wir bisher tatsächlich etwas vernachlässigt. Wir bekommen keine Förderungen. Wir haben ein paar lokale Unternehmen, die uns natürlich unterstützen. Wir müssen auch jeden Euro umdrehen und schauen, dass es eben noch bezahlbar ist für Festival-Besucher und dass von der Arbeit, die man da reinsteckt, auch ein bisschen was übrig bleibt. Das ist ein Tagesfestival, da überlegt man natürlich schon bei dem Line-up und so weiter, wie hoch kann man den Ticketpreis dann ansetzen. Wie du schon sagst, seit Corona sind die Kosten explodiert. Jeder Dienstleister will auf einmal das Doppelte, sicherheitshalber dann das Dreifache und du kannst trotzdem nicht das Ticket einfach verdreifachen.

re.flect: Was wünscht ihr euch für die Zukunft von Festivals?

Basti: Das Beste für die Zukunft wäre, wenn wir keine extra Teams mehr brauchen, sondern die gesamte Gesellschaft irgendwie ein Awareness-Team ist. Das ist ja eigentlich das Ziel.

Lisa: Das ist eine sehr, sehr schöne Zukunftsvision.

Matze: Wir haben jetzt auch kein spezielles Awareness-Team. Seit zwei Jahren ist das ganze Thema auch präsenter und wir denken darüber nach, was wir machen können. Bisher haben wir’s aber so geregelt, dass das Team gebrieft wurde und wissen, was sie machen sollen, wenn sich jemand unwohl fühlt.

Matze: Da haben wir ja auch Glück, dass die Techno-Community als super friedlich gilt. Da gibt’s selten größere Zwischenfälle.

Basti: Nee, nicht eine einzige Schlägerei beim WET …

Matze: Ja, bei uns auch vielleicht mal eine in vier Jahren. Aber um auf meine Zukunftsvision zurückzukommen: Ich würde mir wünschen, dass sich jeder wohlfühlt und dass die Kosten nicht noch weiter steigen. Man will ja auch nicht die Ticketpreise anheben, sodass sich das niemand mehr leisten kann.

Lisa: Wir haben im Prinzip ein riesiges Drei-Tages-Festival, das von Leuten gestemmt wird, die darauf Bock haben und das alles in ihrer Freizeit machen. Da würde ich mir wünschen, dass das weiterhin alles funktioniert. Dass es weiterhin Leute gibt, die Lust darauf haben, solche Sachen mitzugestalten. Ich finde es immer eine wahnsinnig schöne Erfahrung: Man geht da hin und stampft in wenigen Tagen so ein Festival aus dem Boden und eine Woche später ist alles auch schon wieder weg. Das finde ich jedes Jahr aufs Neue komplett faszinierend und wünsch mir das auch weiterhin.

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