Plattform

Plattform #97:
Björn Springorum „Wo ist die Kühnheit?“

Nie sollte man den Fehler begehen, sich mit anderen Städten zu vergleichen. Das macht man in Stuttgart gern, ist auch ein echtes Selbstwertproblem, aber nicht Gegenstand dieses Textes. Jede Stadt ist für sich einzigartig, hat ihre Vorzüge und Nachteile. Wir haben Weinreben auf dem Stadtgebiet, traumhafte Kessellage, die Markthalle, die Wilhelma – kurz: jede Menge, worum uns andere beneiden. Was wir in diesem Erdzeitalter aber nicht mehr werden, ist eine Stadt der Food-Trendsetter. Alle Schaltjahre kommt es hier zwar schon mal vor, dass hier ein Laden mit einem (zumindest für die Stadt und/oder die Region) völlig neuartigen Konzept eröffnet – I Love Sushi als erster Sushi-Bringdienst der Stadt, die Mozzarella Bar als radikale Huldigung der weißen Käsekugel oder El Seco mit ecuadorianischen Aromenexplosionen. Der überwältigende Teil der Neueröffnungen scheint sich allerdings seit Jahren als Trittbrettfahrer mächtig wohl zu fühlen. Hinterherlaufen und ein gelungenes Konzept übernehmen war schon immer einfacher, bequemer, sicherer. Aber eben auch deutlich langweiliger.

Erst waren es die Cocktailbars, die irgendwann mehr Wert auf vollbärtiges Personal und gestärkte Hemden als auf originelle Kreationen legten, dann die inflationär aus dem Boden ploppenden Burger-Shacks mit ihrem überwiegend deckungsgleichen Konzept, später die Ramen-Shops. Natürlich verträgt eine Stadt Konkurrenz, natürlich ist ein Food-Trend nicht umsonst ein Trend und erfordert mehr als einen Laden, um die plötzlich entfesselte Nachfrage zu stillen. Ich frage mich nur, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. In Stuttgart wird ein kulinarisches Phänomen dann nämlich gern mal so weit ausgereizt, ausgebeutet und ausgeschlachtet, bis man nach der x-ten generischen Neueröffnung zum selben Thema schnell die Schnauze voll hat vom vormals heißen Scheiß. Nachhaltig ist das nicht, viele Läden müssen voreilig dichtmachen, weil sie sich einfach zu sehr auf ein bestehendes Konzept verlassen haben.

Ich verstehe schon, dass es reizvoll ist, einen Pionier die Arbeit machen zu lassen und dann einfach ein minimal gepimptes Konzept mit einem noch cooleren Namen an den Start zu bringen. Ist ja auch nicht jeder der geborene Entrepreneur mit Visionen, Courage und Budget. Was mir da aber fehlt, sind der Einfallsreichtum, die Kühnheit und die Neugier auf Neues. Für mich sind das drei Grundpfeiler jeder Art von Gastronomie. Auf die Schnauze fallen ist dabei natürlich ein Stück weit wahrscheinlicher als mit einem veganen, glutenfreien Törtchenladen; dafür bereichert man die Stadt um etwas komplett Neues, Eigenes. Und es ist nun wirklich kein Geheimnis, dass Stuttgart durchaus noch Luft für gastronomische Innovationen hat.

Was ist mit guter südamerikanischer Küche? Mit der US-Küche aus den Südstaaten oder aus Kalifornien? Mit spezifischer Länderküche aus bestimmten italienischen Regionen? Himmel, es gibt ja sogar kaum spanische oder portugiesische Restaurants. Selbst einen uralten Streetfood-Klassiker wie gute Tacos muss man lange suchen. Dass es anders geht, zeigt Bernd Kreis in seiner Wein-/Jazzbar High Fidelity. Dort serviert er authentisch peruanische Sandwiches, die Sánguches. Und, Überraschung: Die Stuttgarter lieben sie! Ich mag einen guten Burger ebenso wie Ramen, ich finde auch unsere Weinstubenkultur umwerfend schön und bin überzeugt, dass wir viele erstklassige Restaurants und Köch:innen haben. Ich wünschte mir nur, wir würden uns nicht immer mit abgeschauten Konzepten zufriedengeben. Von der Gastroszene in der sechstgrößten Stadt Deutschlands erwarte ich entschieden mehr. Und wenn schon nicht während der letzten beiden Corona-Jahren, dann bitteschön ab diesem Sommer. Kann ja nicht angehen, dass es große Innovationen praktisch nur bei Bosch oder Daimler gibt.

null

Text © Björn Springorum
Schreibt, trinkt und isst in Stuttgart.

Illustration © Anna Ruza (Grafikerin & Illustratorin)
Nach dem Diplom in Kunsttherapie und einigen Jahren als Therapeutin genießt sie aktuell das Leben mit Mann und Mäusen vom schönen Stuttgarter Westen aus.

Das koennte dir gefallen…

2 Kommentare

  • Reply
    B. Schiffer
    4. Dezember 2022 at 21:38

    Na ja, manch eine(r) wäre froh, wenn sie/er Zuhaus sich und ihre Lieben ausreichend mit Nahrung versorgen könnten.
    Da kommt einem dieser Artikel doch schon reichlich snobistisch daher!
    Was braucht der verwöhnte und gelangweilte Wohlstandsbürger denn noch alles, ….
    (“Gähn..Gähn…Gähn”)

    • Sarah Zimmermann
      Reply
      Sarah Zimmermann
      14. Dezember 2022 at 15:31

      Daher richtet sich der Text auch nicht an Privatpersonen, sondern ist eher als eine Art humorvolles Gedankenspiel über die hiesige Gastroszene allgemein zu verstehen. Auch der Zeitpunkt spielt da natürlich eine Rolle: Die Kolumne stammt noch aus dem Januar/Februar. Viele Grüße und komm gut durch den Winter!

    Schreibe einen Kommentar zu Sarah Zimmermann Cancel Reply